Blinde Tunnel - Tove Alsterdal
Beschreibung des Verlages:
Sonja und Daniel wollen ihre Ehe retten und erfüllen sich einen Traum:
Das schwedische Paar kauft ein Weingut in Tschechien. Das Anwesen liegt
seit dem Zweiten Weltkrieg brach, verströmt jedoch eine betörende Magie.
Bei ihren Aufräumarbeiten entdecken sie ein Kellergewölbe mit Flaschen
aus den Kriegsjahren. Und die mumifizierte Leiche eines Jungen mit
weißer Armbinde. Die Polizei hat kein Interesse, der Sache nachzugehen,
aber mithilfe der Anwältin Anna erfährt Sonja mehr über die bewegte
Geschichte des Dorfes, die Annexion der Gebiete durch Hitler, das Leid
der Bevölkerung. Doch dann wird Anna ermordet und Daniel als
Verdächtiger verhaftet. Sonja begreift, dass der Schlüssel in der
Vergangenheit liegen muss. Und dass manche Dinge für immer verborgen
bleiben sollen.
Inhalt:
Ein heruntergekommenes Weingut mit einer schwierigen Vergangenheit hat es Sonja und Daniel angetan. Doch bald finden sie in den unterirdischen Tunneln, welche das Wohnhaus unterwandern, eine Kinderleiche und als auch noch die rätselhafte Anna, welche sich für die Geschichte des Weinguts interessiert, ermordet und Daniel des Mordes verdächtigt wird, macht Sonja sich auf Spurensuche. Sie taucht tief in die Geschichte des Sudetenlandes und der vertriebenen Sudetendeutschen ein und bekommt die heute noch ambivalente Haltung ihrer Mitmenschen am eigenen Leib zu spüren.
Meine Meinung:
Wer "Blinde Tunnel" als Krimi liest und Spannung wie "Auf dem Niveau von Henning Mankell" (wie das Buch auf der Website angepriesen wird) erwartet, ist leider mit diesem Roman falsch beraten. Sowohl der "Cold Case" als auch der sich in der Neuzeit ereignende Kriminalfall sind nämlich überhaupt nicht spannend und Gänsehaut kommt nur auf, wenn man daran denkt, wozu Menschen im Laufe der Geschichte und auch heute noch immer wieder fähig sind und waren. Spannend wird es aber trotzdem, wenn man in die komplexen und tragischen historischen und gesellschaftlichen Hintergründe der Region Böhmen/Mähren/Schlesien eintaucht und - wie Sonja - erfährt, wie gespalten und traumatisiert auch heute noch viele in diesen Regionen lebende Menschen sind.
Fazit:
Dieses Buch benötigt einen "Cold Case", damit Sonja sich überhaupt mit der Geschichte ihres neu erworbenen Weingutes auseinandersetzt, sie hätte aber auch einfach rätselhafte Tagebücher oder Postkarten finden können und so wäre das Buch nicht als Krimi vermarktet worden, sondern als historischer Roman, der durchaus Spannung aufkommen lässt. Das hätte der Geschichte sicher gutgetan und hätte bei mir nicht komplett falsche Erwartungen geweckt.
Schade, der Roman ist nämlich grandios recherchiert und auch gut erzählt. Als Krimi empfehle ich ihn allerdings überhaupt nicht. Wer sich aber für düstere Verstrickungen und wahre historische Begebenheiten interessiert, ist mit diesem Roman bestens beraten.
Zusätzliche Infos:
Titel: Blinde Tunnel
Originaltitel: Blindtunnel
Autorin: Tove Alsterdal, 1960 in Malmö geboren, zählt zu den
renommiertesten schwedischen Spannungsautor:innen, ihre Romane
erscheinen in 25 Ländern und wurden vielfach ausgezeichnet. Mit der
Trilogie um Ermittlerin Eira Sjödin gelang ihr in Schweden ein
Sensationserfolg, für «Sturmrot» erhielt sie den Schwedischen Krimipreis
2020 und den Skandinavischen Krimipreis 2021, ebenso wie «Erdschwarz»
stand der Roman wochenlang auf Platz 1 der schwedischen Bestsellerliste.
Auch in Deutschland stiegen die Romane sofort in die Top 10 der
Spiegel-Bestsellerliste ein. Die Filmrechte sicherte sich eine
Hollywood-Produktionsfirma.
Sprache: Deutsch
Aus dem Schwedischen von: Hanna Granz
Fester Einband mit Schutzumschlag und Lesebändchen: 352 Seiten
Verlag: Kindler
Erscheinungstermin: 12.09.2023
ISBN: 978-3-463-00050-3
Kurzrezension: Blinde Tunnel
Rezension: Das Lügenhaus
Das Lügenhaus - Anne B. Ragde
Reiheninfos:
1. Das Lügenhaus
2. Einsiedlerkrebse
3. Hitzewelle
4. Sonntags in Trondheim
5. Die Liebhaber
6. Rückkehr
Beschreibung des Verlages (verrät sehr viel vom Inhalt, lesen auf eigene Gefahr):
Trondheim in Norwegen: Als die Bäuerin Anna nach einem Schlaganfall im
Sterben liegt, kommt die Familie nach Jahrzehnten erstmals wieder
zusammen. Tor, der älteste Sohn, der den Hof übernommen hat und eine
Schweinezucht betreibt, verständigt nicht nur seine beiden Brüder –
Margido, der vor Jahren den Kontakt zum Elternhaus abgebrochen und sich
als Bestattungsunternehmer selbstständig gemacht hat, und Erlend, der
mit seinem Lebensgefährten als Schaufensterdekorateur in Kopenhagen lebt
–, sondern auch seine Tochter Torunn, die er nur ein einziges Mal
gesehen und vor seiner Familie verheimlicht hat. Nun, am Sterbebett der
Mutter, hält ausgerechnet der unscheinbare Vater eine riesige
Überraschung bereit, die das bisherige Leben in Frage stellt …
Inhalt:
Es ist kurz vor Weihnachten und der Bestatter Margido muss sich mit dem Suizid eines Teenagers auseinandersetzen, der Schweinebauer Tor kratzt am Existenzminimum und der Schaufensterdekorateur Erlend macht sich daran, die alljährlich stattfindende Weihnachtsfeier in seinem Zuhause zu planen. Die drei sind Brüder, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten und leben ihre Leben aneinander vorbei. Als plötzlich ihre Mutter ins Spital muss, versammeln sich aber alle - teilweise widerwillig - an ihrem Krankenbett, wo die eine oder andere Neuigkeit sie aus der Fassung bringt.
Vor einigen Jahren habe ich "Die Liebesangst" von Anne B. Ragde gelesen und war fasziniert von ihrer Erzählsprache. Nun endlich habe ich mir spontan den ersten Band der Lügehaus-Reihe gegönnt und bin immer noch komplett begeistert von diesem Auftaktband. Die grandios eingefangene Atmosphäre kurz vor Weihnachten, die tiefen Einblicke in ganz unterschiedliche Leben und Schicksale sowie die bildhaften Beschreibungen, die mich dieses Buch, seine Figuren und Handlungsorte sehen, fühlen und riechen liessen, haben es mir angetan.
Schreibstil und Aufbau:
Diese in drei Abschnitte eingeteilte Geschichte lässt tief in das ärmliche Leben auf einem Hof in Trondheim, in das schillernde Stadtleben Kopenhagens und in die Abgründe einer von harten Schicksalen geprägten Familie blicken. Die ein wenig skurrilen Figuren, von denen ich vor allem Torunn und ihre pragmatische Art sofort ins Herz geschlossen habe, sind mit viel Respekt und Empathie für ihre Lebenssituation beschrieben. Ausserdem gelingt es Ragde, die alles andere als einfachen Beziehungen innerhalb von Familien, Partnerschaften und der Arbeitswelt sehr realistisch darzustellen und trotzdem nicht ins Dramatische zu kippen, sondern stets eine grosse Prise Humor und Warmherzigkeit in ihre Geschichte einfliessen zu lassen.
Meine Empfehlung:
Ich freue mich schon riesig auf die Fortsetzungen dieser Reihe und möchte ganz bald wieder nach Trondheim zurückkehren. Von mir gibt es eine herzliche Empfehlung für diese spannende, einfühlsam und zugleich humorvoll erzählte Familiengeschichte.
Zusätzliche Infos:
Titel: Das Lügenhaus
Originaltitel: Berlinerpoplene
Autorin: Anne B. Ragde wurde 1957 im westnorwegischen Hardanger geboren. Sie ist eine der beliebtesten und erfolgreichsten Autorinnen Norwegens und wurde mehrfach ausgezeichnet. Mit ihren Romanen »Das Lügenhaus«, »Einsiedlerkrebse« und »Hitzewelle« gelang ihr einer der größten norwegischen Bucherfolge aller Zeiten. Nachdem Anne B. Ragde zunächst angekündigt hatte, die Lügenhaus-Serie nicht weiterzuschreiben, erscheint nach »Sonntags in Trondheim« und »Die Liebhaber« mit »Rückkehr« das große Finale der auch in Deutschland gefeierten Buchserie.
Taschenbuch, Broschur: 320 Seiten
Sprache: Deutsch
Aus dem Norwegischen von: Gabriele Haefs
Verlag:btb Verlag
Erschienen am: 14.08.2017
ISBN: 978-3-442-71570-1
Lese-Statistik August 2024
Hallo ihr Lieben
Der August war so ein ereignisreicher Monat, dass ich beim Sichten der Fotos und meiner Notizen richtig ins Staunen gekommen bin. Begonnen hat der Monat sehr ruhig, weil ich mir meine komplett freie Woche in der ersten Augustwoche eingeplant habe. Da bei uns am 1.8. Nationalfeiertag war, wurde direkt eine verlängerte Woche daraus (mit Übernachtung vom 31.7. auf den 1.8. bei schönstem Regenwetter auf der Dachterrasse meiner besten Freundin) und das hat richtig gutgetan. Generell war dieser Sommer - abgesehen von der furchtbaren Hitze, mit der ich jedes Jahr schlechter klarkomme - gut zu mir und hat mich zum ersten Mal seit Jahren so richtig zur Ruhe kommen lassen und dies liegt sicher daran, dass wir nicht wirklich verreist sind und dass ich sehr bewusst Auszeiten eingeplant habe.
Viele Familienbesuche und -feiern standen trotzdem an, ein neues Erdenbürgerlein wurde getauft und wir haben ganz viele liebe Herzensmenschen getroffen und richtig viel Zeit mit ihnen verbrinden dürfen, was ein riesiges Geschenk ist und wovon wir immer noch zehren.
Dann reiste ich für zwei Nächte nach Salzburg und startete anschliessend wieder mit der Schule und einem Stundenplan, der mir sehr entspricht.
Die erste Schulwoche verlief noch ruhig, dann aber ging es so richtig los, ich probte sehr viel und spielte vier Konzerte, bin dabei, zwei Schülerinnen auf einen Wettbewerb und fünf Schülerinnen auf den Auftritt in einem Gottesdienst vorzubereiten und plane mit meiner Praktikantin ihr im Oktober beginnendes Praktikum.
Der Monat endete aber mit einem absoluten Highlight: am 30.8. traf ich Angi und besuchte mit ihr eine Lesung von Saša Stanišić in Basel. HIER könnt ihr ein paar Eindrücke sehen und lesen und ich muss ehrlich sagen...ich schwelge immer noch. Und weil Angi (links im Bild) so mutig war und für uns gefragt hat, konnten wir sogar noch ein Bild mit Saša machen.
Gelesen im August:
Gelesen habe mal viel, mal rastlos, mal kurzatmig, mal hat mich ein Rezensionsexemplar, das mir gar nicht zugesagt hat, sehr gebremst und dann bin ich nur so durch einen Roman geflogen. Bücher durften auch einziehen (offener Bücherschrank und ganz viele volle Schränke bei meinen Eltern, tz, tz...) und einige verliessen mich wieder.
Unterhaltsamer und spannender Krimi und viel Einsicht in Kluftis Privatleben, ein Lesevergnügen
Unterhaltsame, spannende, lehrreiche und einfach absolut lesenswerte feministische Essaysammlung
Berührender, kurzweiliger, überraschender Roman, der zwischen Traum und Wirklichkeit schwankt
Kleine Längen im Mittelteil, aber ansonsten ein packender, moderner Roman über Freundschaft und Gaming
Leider bin ich mit diesem Essay-Band so gar nicht klargekommen, schade, aber das kann passieren
Alle Rezensionen und Seitenzahlen auf einen Blick:
Herzblut, Kluftingers siebter Fall - Volker Klüpfel und Michael Kobr (400 Seiten)
Die letzten Tage des Patriarchats - Margarete Stokowski (320 Seiten)
Augustblau - Deborah Levy (176 Seiten)
Morgen, morgen und wieder morgen - Gabrielle Zevin (560 Seiten)
Blut, Stolz Fernweh und andere Mysterien - Ellen Kuhn (200 Seiten)
Death's End - Cixin Liu (abgebrochen nach 178 Seiten, es hat mich leider nur noch gelangweilt...)
Neuzugänge:
Ich habe soooo viele Bücher hier einziehen lassen und bereue nichts (aber so langsam sollte ich mir doch wieder Gedanken um einen kleinen Abbau machen...):
- Tode, die wir sterben - Roman Voosen, Kerstin Signe Danielsson (überraschend erhaltenes Reziexemplar)
- Das Winterhotel - Sarah Morgan (angefragtes Reziexemplar)
- Blut, Stolz, Fernweh und andere Mysterien (angefragtes Reziexemplar, Enttäuschung des Jahres...)
- Die Geschichte des Wassers - Maja Lunde (Jahreszeitenquartett 2), im Bücherschrank gefunden und mich sooooo gefreut, es stand eeeeewig auf der Wunschliste)
- Die Unschärfe der Welt - Iris Wolff (von meinen Eltern geliehen)
- Zur See - Dörte Hansen (von meinen Eltern geliehen)
- Wachstumsschmerz - Sarah Kuttner (von meinen Eltern geliehen)
- Hallo du Schöne - Ann Napolitano (Bücherschrankfund)
- Zum Glück ein Jahr - Sophia Bergmann (Bücherschrankfund)
Alle Zahlen in der Übersicht:
Abgebrochene Bücher: 1
Ungelesen aussortierte Bücher: -
Bücher von Autoren: -
Autor*innenduos (oder Gruppen): 1
Ausgeliehen: 3
Buchgewinn: -
Rezensionsexemplare: 3
Gekaufte Bücher: -
Eingesammelte Bücher: 3
Bibliotheksbücher: -
Gesamte Neuzugänge: 9
SuB am Monatsbeginn: 71
Aktueller SuB: 73
Rezension: Blut, Stolz, Fernweh und andere Mysterien
Blut, Stolz, Fernweh und andere Mysterien - Ellen Kuhn
Beschreibung der Autorin:
Bereits in ihren ersten beiden Büchern hat sich Ellen Kuhn als scharfsinnige Beobachterin mit breit gefächerten Interessen gezeigt. Ihre Fähigkeit zu oft etwas anderen Gedanken mit philosophischem und psychologischem Tiefgang fusioniert in diesem Essayband zu einem bunten Potpourri an Themen, über die wir alle sicher schon einmal nachgedacht haben, aber sicher nicht in dieser Tiefe und unter diesen Blickwinkeln. Falls wir es nicht getan haben, ist es höchste Zeit, es zu tun. Ellen Kuhn kann Wissen vermitteln, Denkanstöße geben und gleichzeitig unterhalten. Von ihren Reflexionen über ihr bald zehnjähriges Leben als digitale Nomadin und der immer aktuellen Selbstwertfrage über die vielfältigen Facetten von Stolz, die besonderen Beweggründe für das Lesen und das Universum der weiblichen Menstruation bis hin zur Problematik, ob wir in diese sich so dramatisch verändernde Welt ein Kind setzten sollten. Klug, analytisch, emotional und inspirierend.
Inhalt:
"Blut, Stolz, Fernweh und andere Mysterien" beinhaltet ein Vorwort und neun sehr persönliche Essays zu ganz unterschiedlichen Themen. Ausserdem ist jedem Essay ein ausführliches Quellenverzeichnis angehängt, was das weitere Stöbern und Nachforschen erleichtert.
Meine Meinung:
Der Zeit, zu der diese Rezension online geht, seht ihr an, wie sehr ich um Worte gerungen habe. Nicht nur, weil dieses Buch mir als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt worden ist und weil die Autorin Ellen Kuhn es mir in einem sehr angenehmen Austausch erst angeboten hatte, wollte ich unbedingt ein paar Worte dazu verlieren. Vielmehr ist es mir wichtig, die Lektüre und die Gründe, weshalb sie mir eben nicht wie erwartet zugesagt hat, einzuordnen, damit ihr euch ein eigenes Bild davon machen könnt.
Gleich im Vorwort lädt Kuhn dazu ein, sich den Texten neugierig und offen zu nähern, diese aber auch nach Lust und Laune selektiv zu lesen. Eine schöne Bitte einerseits, aber auch eine Art Disclaimer für alles, was folgt. Schliesslich muss niemand diese Essays lesen und schon gar nicht, wenn sie nicht gefallen. So einfach ist es aber dann doch nicht. Schliesslich wird gleich im ersten Essay ("Die Frage nach dem „Warum lese ich?“ nochmals neu gestellt") darauf eingegangen, wie durchaus lohnenswert und befriedigend es sein kann, ein Buch auch komplett anspruchslos zu lesen, sich durchzubeissen oder es immer wieder neu mit einem Buch zu probieren, wenn es beim ersten Aufschlagen nicht gleich funkt.
Das habe ich mir sehr zu Herzen genommen, musste aber einige der Texte querlesen und immer mal wieder sowohl den Kopf schütteln, als auch Seiten überspringen.
Dies lag ein wenig am Schreibstil und auch an der Haltung der Autorin selber. Schon in ihrer Beschreibung erwähnt Kuhn, wie sie sich ihren Themen mit philosophischem und psychologischen Tiefgang nähert und verwendet eine vermeintlich sehr akademische und hochstehende Sprache. Nach jedem Essay finden sich die entsprechenden Quellenverzeichnisse, was mir sehr gut gefallen hat, da ich so nicht immer an den Schluss des Buches blättern wollte, wenn ich mir die Liste der weiterführenden Literatur ansehen wollte. Ich bin es mir gewohnt, wissenschaftliche Texte aus den unterschiedlichen Sparten zu erarbeiten, somit war diese Herangehensweise kein Stolpersein für mich. Vielmehr hat mich gestört, dass Kuhn allen Ausführungen zum Trotz nie zum Punkt kommt und kein einziges Thema wirklich tiefsinnig aufschlüsselt. Beispielsweise wird im Essay "Evolution (m)eines Zyklus" in einem Nebensatz Menstruationshütten in Nepal (zu recht) kritisiert, ohne aber darauf einzugehen, dass solche in vielen indigenen Kulturen gang und gäbe sind und waren und dort eine sehr wichtige spirituelle Rolle innehatten, deren Ursprünge man sich durchaus einmal anschauen könnte. Auch wird die Waschtemperatur von Periodenunterwäsche im selben Artikel nicht ganz korrekt angegeben. Gerade weil "Periode ist politisch" von Franka Frei so oft zitiert wird, empfehle ich euch so oder so, Franka Freis Buch zu lesen, wenn ihr euch mit der Menstruation auseinandersetzen wollte. Ihr lernt mehr und werdet dabei auch noch wunderbar unterhalten.
Auch in anderen längeren Essays werden wahllos Themen durcheinandergewürfelt und dies geschieht - womit wir beim zweiten mich störenden Punkt angelangt wären - aus einer massiv privilegierten und nicht wirklich reflektierten Perspektive heraus. Beispiel gefällig? Im Essay "Klima und Kinder – eine hoffnungslose Kombination?", der eigentlich sehr viele gute Gedanken und sogar Entscheidungshilfen beinhaltet und einfühlsam darauf hinweist, dass letztendlich alle Entscheidungen ihre Berechtigung haben, sinniert Kuhn über Frauen, die sich schon immer unter den widrigsten Umständen entschieden haben, Kinder zu bekommen. Es habe also schon immer Frauen gegeben, die sich trotz scheinbar ausweglosen Situationen für Kinder, für die Hoffnung, für die Zukunft entschieden haben und Kuhn schliesst diesen Gedankengang ernsthaft damit ab, dass schon Frauen im Mittelalter oder während und zwischen Kriegen bereit gewesen wären, Kinder zu bekommen, ohne auch nur annähernd zu bedenken, dass das Konzept der Wahlfreiheit in Bezug auf Kinderfragen leider sehr, sehr neu und immer noch nicht überall gegeben ist, was der jahrtausendelangen Unterdrückung der Frau und den schlicht nicht funktionalen Verhütungsmitteln der alten und sogar jüngeren Vergangenheit geschuldet ist und somit ist eine Frau im Mittelalter wohl die letzte Person gewesen, die immer komplett freiwillig und gewünscht schwanger geworden ist und geboren hat. Vielmehr sind wohl die meisten Frauen/Menschen damals gar nicht in der Lage gewesen, zu verhüten oder sicher abzutreiben, geschweige denn persönliche Wünsche und Lebensentwürfe zu verwirklichen. Und wie viele Frauen im Krieg schwanger werden, darüber wollen wir alle uns am liebsten gar nicht zu viele Gedanken machen, weil die Wahrheit zu grausam ist. Dass dann die meisten Schwangerschaften auch noch ausgetragen werden müssen ist nur ein weiterer furchtbarer Aspekt dieses abscheulichen Kriegsverbrechens und gehört definitiv - auch mit den besten Absichten und auch wenn es natürlich trotzdem immer Menschen gibt, die auch unter widrigen Umständen eine Familie gründen wollen - nicht glorifiziert.
Auch irritieren mich binäre Systeme in Büchern, die von vermeintlichen Feministinnen geschrieben worden sind, immer sehr. Wenn von weiblicher und männlicher Energie die Rede ist, stelle ich innerlich auf Durchzug, entsprechend habe ich wohl nicht alles mitbekommen, was Kuhn noch ausgeführt hat...
Sie selbst bezeichnet sich übrigens als digitale Nomadin und reist seit über zehn Jahren um die Welt um mal hier, mal da zu leben. Dabei hat sie schon einiges erlebt, betrachtet ihren Lebensstil in Bezug auf die Zukunft des Planeten nicht wirklich kritisch. Dafür hat sie dank ihren Reiseerfahrungen im Essay "Obdachlosigkeit – eine existentielle Begegnung" etwas geschafft, was ich gegen Ende dieses Buches nicht mehr erwartet hätte: sie hat mich mit ihren einfühlsamen Schilderungen und ihrer aufrechten Anteilnahme am Schicksal obdachloser Menschen tief berührt und sogar ein wenig mit diesem Buch versöhnt.
Fazit:
Leider bin ich mit diesem Buch nicht warm geworden, obwohl mich Inas Rezension so neugierig gemacht hat und obwohl mich jedes einzelne Thema dieser Essays sehr interessiert. Es wird nicht bei mir bleiben und andere Lesende dürfen hoffentlich davon profitieren, sich in den Texten wiederfinden oder zum Weiterdenken angeregt werden.
Zusätzliche Infos:
Titel: Blut, Stolz, Fernweh und andere Mysterien
Autorin: Ellen Kuhn
Sprache: Deutsch
Taschenbuch: 200
Verlag: tredition
Erscheinungsdatum: 02.03.2024
ISBN: 978-3-384-16237-3