Rezension: Balzac und die kleine chinesische Schneiderin


Balzac und die kleine chinesische Schneiderin - Dai Sijie

Beschreibung des Verlages:
Zwei pfiffige chinesische Studenten, die zur „kulturellen Umerziehung“ in ein abgelegenes Bergdorf ans Ende der Welt verschickt wurden, merken bald, dass sie nur eine einzige Möglichkeit haben zu überleben: Sie müssen in den Besitz jenes wunderbaren Lederkoffers gelangen, der die – verbotenen – Meisterwerke der westlichen Weltliteratur enthält. Denn nur mit ihnen können sie den Widrigkeiten ihres Daseins entkommen – und vielleicht am Ende das Herz der Kleinen Schneiderin gewinnen.

Inhalt:
Zwei Freunde, Luo und der namenlose Ich-Erzähler, werden zur Zeit der chinesischen Kulturrevolution zur "kulturellen Umerziehung" in die Berge geschickt, wo sie mit einfachen Bauern zusammenleben und schwerste Arbeit verrichten müssen. Es kommt aber, dass sie das Vertrauen des Laobans gewinnen können und dabei das Privileg erlangen, einmal im Monat in die nächste Stadt zu reisen, dort einen Film zu sehen und diesen dann der Dorfbevölkerung im Detail zu erzählen. Während ihren Ausflügen in die Stadt verliebt sich Luo in eine junge Schneiderin und gleichzeitig entdecken die beiden Freunde, dass der Brillenschang, der ebenfalls zur Umerziehung im Dorf ist, verbotene Bücher bei sich versteckt. Fortan sind es die Bücher, welche die beiden Freunde besitzen wollen. Mit ihnen - so hoffen sie - können sie die kleine Schneiderin für sich einnehmen und sich zudem Literatur erschliessen, die ihnen bis anhin verwehrt geblieben ist.

Meine Meinung:
Dai Sijie ist mir seit "Der kleine Trommler" ein Begriff und doch sind Jahre vergangen, bis ich zu einem weiteren Buch von ihm gegriffen habe. "Balzac und die kleine chinesische Schneiderin" habe ich erst gerade im Oktober im offenen Bücherschrank entdeckt, es lag also nur ganz kurz bei mir auf dem SuB, aber ich wollte es unbedingt sofort befreien und das war eine sehr, sehr gute Entscheidung. Das Buch hat mich gefesselt, mir enorm gut gefallen und mich mit seiner Geschichte, in der es um eine starke Liebe und eine noch stärkere Freundschaft geht in seinen Bann gezogen.

Handlung:
Luo beim Versuch zu beobachten, der jungen Schneidern, die keine schulische Bildung genossen hat, aber um so lebenstauglicher ist, die Werke der westlichen Literatur näherzubringen, hat bei mir immer wieder Erinnerungen an "Pygmalion" von George Bernhard Shaw heraufbeschwört (wer das Buch nicht kennt, vielleicht kennt ihr ja "My Fair Lady"). Auch dort nimmt sich ein gebildeter Mann einer weniger gebildeten Frau an, um sie - voller bester Absicht aber natürlich komplett sexistisch - in seine Klasse der Gesellschaft einzuführen und das "Experiment" verläuft anders als geplant, weil Pygmalion plötzlich beginnt, eigene Entscheidungen zu treffen.
In Dai Sijies Roman kommen aber noch zwei weitere Komponenten hinzu, welche diese Geschichte  um so spannender und liebenswerter machen: erstens spielen die politische Situation, das Verbot gewisser Literatur und die um so grössere Sehnsucht nach Büchern, Bildung und Unabhängigkeit eine grosse Rolle und zweitens steht Luo nicht alleine da, sondern hat seinen besten Freund an seiner Seite. Dieser ich-Erzähler ist es auch, der Luo stets den Rücken frei hält und seine Geschichten so feinfühlig und aufmerksam, aber auch humorvoll und (selbst-)kritisch erzählt, dass man ihm gerne noch viel länger "zuhören" und ewig in diesem Buch lesen möchte.

Meine Empfehlung:
"Balzac und die kleine chinesische Schneiderin" hat mich berührt und in eine ganz andere Zeit und an einen fernen Ort entführt. Gerade jetzt, wo grössere Reisen nicht möglich sind, habe ich diese Reise nach China enorm geschätzt. Dai Sijie hat mit diesem Werk einen Roman geschaffen, der nicht nur gesellschaftskritisch ist, sondern auch eine enorme Liebeserklärung an die Literatur und Kultur, das Lesen und Erzählen beinhaltet und zudem eine zarte Liebesgeschichte erzählt und eine starke Freundschaft thematisiert. Von mir gibt es dafür eine sehr herzliche Leseempfehlung.

Zusätzliche Infos:
Titel:
Balzac und die kleine chinesische Schneiderin
Originaltitel: Balzac et la petite tailleuse chinoise
Autor: Dai Sijie, geboren 1954 in der Provinz Fujian in China, wurde von 1971 bis 1974 im Zuge der kulturellen Umerziehung in ein Bergdorf geschickt. Nach Maos Tod studierte er Kunstgeschichte und emigrierte 1984 nach Paris. „Balzac und die kleine chinesische Schneiderin“, sein erster Roman, wurde ein großer internationaler Erfolg und in einer französisch-chinesischen Produktion erfolgreich verfilmt. Zuletzt erschien von ihm auf deutsch „Der kleine Trommler“.
Sprache: Deutsch
Aus dem Französischen von: Giò Waeckerlin Induni
Fester Einband mit Schutzumschlag und Lesebändchen: 208 Seiten
Verlag: Piper
Erscheinungstermin: 3. Auflage 2001
ISBN: 3-493-04289-9

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