Rezension: Sie hat Bock

Sie hat Bock - Katja Lewina

Beschreibung des Verlages:
Was ist sexistisch an unserem Sex?
Katja Lewina hat Bock, und sie schreibt darüber. Wäre sie ein Mann, wäre das kein Ding. So aber ist sie: »Schlampe«, »Nutte«, »Fotze«, »Hoe« …
Seit #metoo werden die Rufe nach der potenten Frau laut und lauter. Aber hat eine, die ihr sexuelles Potenzial jenseits von »stets glatt rasiert und gefügig« lebt, in unserer Gesellschaft tatsächlich einen Platz?
Lewina führt die Debatte über weibliches Begehren fort und erforscht entlang ihrer eigenen erotischen Biografie, wie viel Sexismus in unserem Sex steckt. Kindliche Masturbation, Gynäkolog*innenbesuche, Porno-Vorlieben oder Fake-Orgasmen: Kein Thema ist ihr zu intim. Und nichts davon so individuell, wie wir gern glauben. Aber die Krusten unserer Sozialisation lassen sich abkratzen! Und so ist Sie hat Bock mehr Empowerment als Anprangern, mehr Anleitung zur Potenz als Opferdenke. Denn nach der Wahrnehmung von Ungerechtigkeiten und Tabus ist es an der Zeit, den Weg zur Selbstermächtigung einzuschlagen.

Inhalt:
Katja Lewina schreibt in erster Linie über sich und ihre Erfahrungen und bettet immer wieder sehr informative Kapitel ein. So zum Beispiel zu gleichberechtigten Beziehungen, zur Menstruation, der richtigen Intimhygiene, der Pornoindustrie und dem Aufbau der Klitoris. Eine Triggewarnung vorweg (die fehlt nämlich im Buch): sexueller Missbrauch und die zum Glück kurz gefasste Schilderung einer Vergewaltigung sind ebenfalls Teil dieses Buches.

Meine Meinung:
Ich bin froh, bereits einige feministische Bücher gelesen zu haben und somit kann ich von mir behaupten, in diesem  Buch nicht wirklich etwas Neues gelernt, aber dennoch ein paar andere Meinungen zu gewissen Themen erfahren zu haben. Und genau da liegt der Hund auch schon begraben. Katja Lewina schreibt ausschliesslich aus ihrer persönlichen Erfahrung und obwohl sie wissenschaftliche Informationen einbaut, bleibt sie in der Art, wie sie über Menschen schreibt, sehr stereotyp und oberflächlich. Sie teilt aus. Gegen Männer vor allem und dies in der Regel sehr schubladisierend und teilweise abwertend. Aber auch gegen Frauen. Ja, dieses Buch ist kein feministisches Buch, sondern ein antifeministisches Buch. Es spielt unterschiedliche Lebensformen und Frauen gegeneinander aus. Beispiele gefällig?

1. Katja Lewina lebt mit ihrem Mann in einer offenen Beziehung (die auch nur entstanden ist, weil ihr Mann sie damals betrogen hatte und sie beide dann erfahren haben, dass sie doch gerne noch weitere Menschen in ihre Betten lassen wollen, der Schmerz und die Enttäuschung über den Betrug und die Hörigkeit gegenüber ihres Mannes sind aber immer noch sehr spürbar. Ehrlich und mutig, wie ich finde, aber auch nicht unbedingt selbstbestimmt). So weit aber eigentlich nichts Neues, alle, wie sie wollen. Dass Lewina es nötig hat, monogam lebende Menschen als langweilige, prüde Menschen, die ihr Potenzial nicht ausschöpfen und ihre wahre Natur nicht ausleben, darzustellen, finde ich ein wenig unpassend.

2. Als sehr freiheitsliebende und offene Person, akzeptiert die Autorin selbstverständlich alle Lebensformen (Achtung: Ironie), aber: es gibt doch noch Ausnahmen, wer andere Präferenzen hat - auch hier wieder - wird als "merkwürdig" bezeichnet (man beachte, geschrieben wird in dieser Szene über eine - hypothetische - Frau).
"Oder weil sie das "merkwürdige" Bedürfnis danach, gefesselt und geknebelt von drei Unbekannten gleichzeitig gevögelt zu werden (...).
(Seite 59/60)

3. Obwohl sie sonst sehr schnell mit Stereotypen bei der Hand ist, hat Katja Lewina Mühe, ihre eigene Sexualität in eine Schublade zu packen. Muss sie ja auch gar nicht. Pansexuelle aber als "selbstgerecht" zu betiteln, geht dennoch nicht.
"Darum werde ich mir zwar noch lange nicht in selbstgerechter Manier ein "pansexuell"-Krönchen aufsetzen."
(Seite 69)

4. Wunschkaiserschnitte übrigens, werden auf Seite 201 im Buch als "hirnverballert" bezeichnet. So weit also zur Selbstbestimmung von Gebärenden...

5. Nach Lewinas "erstem Mal", einer Vergewaltigung, hat sie sehr schnell ihre Freude an der Sexualität gefunden. Sie tut diese Gewalttat und den Übergang zum alltäglichen Vögeln salopp ab. Ich kann das verstehen, schliesslich möchte man ein Trauma nicht mehrmals durchleben oder detailliert schildern. In einem solchen Buch aber könnte man die Plattform nutzen und wenigstens zwei bis drei Sätze dazu verlieren, wie man mit seinem Trauma umgeht, wie man sich selber hilft und wie man rechtlich gegen einen Täter vorgeht. Schliesslich muss man davon ausgehen, dass betroffene Personen dieses Buch lesen und erstens durch die fehlende Triggerwarnung und zweitens durch den unsensiblen Umgang mit dem Thema getriggert werden können.

Ach, dieses Buch... Es hat es mir so schwer gemacht. Und es hat mich sehr stark mit meinem eigenen Feminismus konfrontiert, was super ist und wichtig. Denn eigentlich mag ich Frauen, die Dinge beim Namen nennen, die derb und offen sind, die Raum einnehmen und diesen selbstverständlich einfordern. Aber ich mag es nicht, wenn diese Frauen ihre durch diesen Raum entstehende Macht nutzen, um andere klein zu machen. Frauen oder Männer. Missstände aufzuzeigen muss sein, Dinge beim Namen nennen auch, abwerten und in Schubladen denken geht aber nicht. Kein einziges Wort dazu, dass Lewina als weisse cis Frau in Deutschland gegenüber Frauen in anderen Kulturen privilegiert ist. Keine Sensibilität für die Befindlichkeiten anderer Personen.... Feminismus geht anders.

Mein Fazit:
Feministische Bücher lesen: ja, sehr, sehr gerne. Aber wenn ihr nicht bloss oberflächliche und provokative Parolen, sondern ein richtig gutes, wissenschaftlich fundiertes, bewegendes und tiefgründiges feministisches Buch lesen wollt, dann greift doch zu "Untenrum frei" von Margarete Stokowski oder zu "Periode ist politisch" von Franka Frei.

Zusätzliche Infos:
Titel:
Sie hat Bock
Autorin: Katja Lewina wurde 1984 in Moskau geboren. Nach ihrem Studium der Slavistik, Literatur- und Religionswissenschaften arbeitete sie als freie Lektorin und im Künstlermanagement. Heute ist sie freie Autorin und schreibt für alles von Herren- bis Familienmagazin, u. a. Brigitte, Eltern Family, jetzt, Playboy und ZEIT Online. Mit Mann und drei Kindern lebt sie in der Nähe von Berlin.
Hardcover mit Lesebändchen und Schutzumschlag: 224 Seiten
Verlag: DuMont Buchverlag
Erscheinungstag: 18.02.2020
ISBN: 978-3-8321-8117-8

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