Rezension: "Jetzt war ich ganz allein auf der Welt"

"Jetzt war ich ganz allein auf der Welt" - Hans-Burkhard Sumowski

Taschenbuch: 272 Seiten 
Sprache: Deutsch
Verlag: btb Verlag
Auflage: 2. Auflage (4. Mai 2009)
ISBN-10: 3442739551
ISBN-13: 978-3442739554

Beschreibung (via):
Hans-Burkhard Sumowski schildert in seinen Erinnerungen seine erschütternden Erlebnisse am Ende des Zweiten Weltkriegs in Königsberg. Als achtjähriger Junge überlebt er als Einziger seiner Familie die sowjetische Invasion und gerät mit Hunderten anderer deutscher Kriegswaisen in einen wahren Albtraum, bestimmt von Hunger, Krankheiten, Gewalt und Tod. Sumowskis Buch ist ein zutiefst berührendes Zeugnis von der Grausamkeit des Krieges und dem beeindruckenden Überlebenswillen eines Kindes.

Meine Meinung:
Ihr versteht sicher, dass ich bei diesem Buch und dieser sehr intensiven Geschichte nicht auf schriftstellerische Details eingehen möchte. Erstens gibt es abgesehen von sehr vielen vorausgreifenden Floskeln ("das sollte ihr letztes Festmahl sein", "aber es würde alles ganz anders kommen", "es würde unser letztes Treffen sein") nichts zu mäkeln und zweitens steht dies auch gar nicht im Vordergrund. Vielmehr hat Sumowski ein beeindruckendes und sehr berührendes Portrait einer zuerst von Glück und dann von Entbehrungen geprägten Kindheit, einer sagenhaften Rettung aus dem traumatischen Kriegsgeschehen und eines beeindruckenden Kampfes um das tägliche Überleben gezeichnet, das definitiv mehr Leserinnen und Leser verdient.
Ich habe dieses Buch mit Entsetzen gelesen, wurde davon berührt und konnte manchmal nur schwer weiterlesen, weil die Schicksale so nahe gehen. Aber genau deswegen ist dieses Buch auch so lesenwert. Einerseits schildert es ohne zu klagen und lediglich aus der Erinnerung Sumowskis, was geschehen ist, andererseits berührt es auch durch die spannende und sehr durchdachte Erzählweise, die von der ersten Seite an packt und steht nicht als erhobener Zeigefinger, sondern als erzähltes Mahnmal für tausende Schicksale, die leider langsam aber sicher in Vergessenheit geraten.

Die Kindersicht:
Auch wenn Sumowski Jahrzente später erst niederschreibt, was ihm als Kind widerfahren ist, so schreibt er sehr differenziert über das, was er empfunden und erlebt hat und zeigt dabei auch eindrücklich auf, wie sich sein Schicksal als Kind angefühlt hat, dass er natürlich viele Dinge erlebt und getan hat, ohne überhaupt zu verstehen, worum es geht. Beispielsweise dass er als achtjähriger Junge sich begeistert ins Soldatengetümmel seiner belagerten Stadt gestürzt hat, weil es anfangs spannend und erst später bedrohlich war für ihn. Genau diese Erfahrungen vor der eigentlichen Einnahme Königsbergs durch die russische Armee haben dem kleinen Jungen wohl später das Leben gerettet. Wusste er doch mit verminten Gebieten, Dynamit, schwerem Geschütz und den Soldaten umzugehen.
Auch später, nach den unsäglichen Gräueln, die vor allem seiner Mutter und Tante angetan wurden, nutzte er jede Gelegenheit, um mit den russischen Soldaten in Kontakt zu treten, lernte die Sprache, verhandelte hart um ein wenig Nahrung und führte später im Kinderheim, in dem er schliesslich landete, eine kleine Gruppe von Freunden an und wurde von der Heimleitung mit verantwortungsvollen Aufgaben bedacht.

Rückblicke:
Immer wieder scheint eine aktuelle Sicht auf die Dinge durch, Sumowski reflektiert, erzählt, wie er einzelne Situationen heute in Erinneungen hat und ist dabei sehr streng mit sich selber, weiss aber auch, dass er als Kind gewisse Dinge gar nicht verstehen konnte und einfach nicht besser wusste. Zum Beispiel, wie da genuin vom "Russen", der bösen, unzivilisiert mordenden Macht gesprochen worden ist, die es zu vernichten gälte um letztendlich den "Endsieg" zu erringen. Erst in den Tagen im Kinderheim in Ostpreussen wird auch Burkhard, wie er sich nennen lässt, bewusst, dass es nicht nur schwarz und weiss gibt und dass er ohne die väterliche Obhut des russischen Heimleiters wohl wesentlich weniger Chancen gehabt hätte, seinen Weg zu gehen. Ausserdem werden im Nachwort einige sehr wichtige und spannende Ergänzungen geliefert. Es sind Namen, an die sich Sumowski beim Schreiben des Buches nicht mehr erinnert hat und die er im fortlaufenden Text nicht ergänzt, sondern im Nachwort erwähnt und mit kurzen Anmerkungen versehen hat. Und es sind Berichte von Menschen, die mit ihm überlebt und sich später bei ihm gemeldet und dabei geholfen haben, die Erinnerungen aufzufrischen und zu ergänzen.

Meine Empfehlung:
Ich denke, dass dieses Buch spätestens im Gymnasium Schullektüre sein sollte, sofern eine einfühlsame und kritische Lehrperson entsprechend damit umgehen kann. Selber musste ich viele Pausen einlegen. Dieses Buch ist kein Buch für einen Abend, weil die Geschichten, die es erzählt, zu grausam sind. Und trotzdem ist es ein eindrückliches Zeugnis dafür, dass es inmitten der abscheulichsten Verbrechen und des Kriegsgetümmels auch sehr viel Menschlichkeit gab. Und dass es einige gab, die das fragliche Glück hatten, zu überleben und irgendwann ihr Schweigen brachen und erzählten, was ihnen widerfahren war. Um sich selber zu helfen, um anderen eine Stimme zu geben und vor allem um dafür zu plädieren, dass dies alles bitte nie wieder geschehen solle.   

4 Kommentare:

  1. Hallo Livia,
    beeindruckend und definitiv lesenswert. Ich werde deine Rezension auf meiner FB-Seite teilen. Danke fürs Aufmerksam machen
    LG
    Daniela

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    1. Liebe Daniela

      Das freut mich aber sehr, vielen Dank :-)

      Alles Liebe
      Livia

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  2. Liebe Livia,
    definitiv ein Buch, das in mein Genre fällt bzw. von mir gelesen werden möchte =) Du weißt ja, dass ich immer wieder zu Büchern greife, die das Thema ERster oder Zweiter Weltkrieg haben, egal ob biografischer Roman, Biografie oder Roman.
    Danke für die Vorstellung. Wandert natürlich gleich auf meine WL.
    Alles Liebe
    Martina

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    1. Liebe Martina

      Ja, das stimmt, das Buch passt definitiv zu dir. Es wird mittlerweile nicht mehr im btb-Verlag verlegt, aber du wirst es in der neuen Ausgabe finden und lesen können.

      Alles Liebe auch an dich
      Livia

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