Rezension: Alte Sorten

Dieses Buch habe ich für Marias Lesekreis gelesen, schaut unbedingt einmal bei ihr vorbei.

Alte Sorten - Ewald Arenz

Beschreibung des Verlages:
Sally und Liss: zwei Frauen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Sally, kurz vor dem Abitur, will einfach in Ruhe gelassen werden. Sie hasst so ziemlich alles: Angebote, Vorschriften, Regeln, Erwachsene. Fragen hasst sie am meisten, vor allem die nach ihrem Aussehen.
Liss ist eine starke, verschlossene Frau, die die Arbeit, die auf dem Hof anfällt, problemlos zu meistern scheint. Schon beim ersten Gespräch der beiden stellt Sally fest, dass Liss anders ist als andere Erwachsene. Kein heimliches Mustern, kein voreiliges Urteilen, keine miss­trau­ischen Fragen. Liss bietet ihr an, auf dem Hof zu übernachten. Aus einer Nacht werden Wochen. Für Sally ist die ältere Frau ein Rätsel. Was ist das für Eine, die nie über sich spricht, die das Haus, in dem die frühere Anwesenheit anderer noch deutlich zu spüren ist, allein bewohnt? Während sie gemeinsam Bäume auszeichnen, Kartoffeln ernten und Liss die alten Birnensorten in ihrem Obstgarten beschreibt, deren Geschmack Sally so liebt, kommen sich die beiden Frauen näher. Und erfahren nach und nach von den Verletzungen, die ihnen zugefügt wurden.

Meine Meinung:
Dieses Buch hat so viele Erinnerungen in mir geweckt. An den Bauernhof meiner Grossmutter und den Duft frischen Heus. Ich habe mich an die beiden heissen Sommer erinnert, in denen ich auf dem Früchtehof im Dorf meiner Eltern bei der Ernte geholfen habe. Gemeinsam mit Gastarbeiter*innen aus Tschechien und Polen bin ich stundenlang durch die Himbeersträucher und Erdbeerfelder gegangen um auch die unscheinbarste Frucht noch zu erwischen und die Blaubeerenernte war das Meditativste und zugleich Langwierigste, das ich je erlebt habe.
"Alte Sorten" hat mich aber auch an mein erstes selber gebackenes Brot, das eigene eingeweckte Apfelmus (mit dem Fallobst des Nachbarn) und den schweren, süssen Geruch, der danach wochenlang in der Küche hing, erinnert, an die erste Ernte aus meinem Balkongarten, an die Kräuter, Kartoffeln, Radieschen und Karotten, welche ich aus der dunklen Erde gezogen oder mit einer stumpfen Schere abgeschnitten und zu einem Festmahl verarbeitet habe.
Aber "Alte Sorten" weckt nicht nur Erinnerungen, sondern beschreibt auch in meditativer Andacht und mit einer respektvollen Gründlichkeit und Gewissenhaftigkeit die Abläufen bei der Ernte von Riesling oder Kartoffeln, beim Brennen von Schnaps und Einsammeln der Eier aus dem Hühnerstall. Es entschleunigt und lässt innehalten und es erzählt die Geschichte zweier Frauen, welche sich von der Gesellschaft nicht verstanden fühlen und deshalb auf einer ganz eigenen Flucht sind, sich aber dennoch treffen und dann in erster Linie einmal gemeinsam schweigen können. Erst nach und nach wird das Schweigen gebrochen und in zahlreichen Rückblenden und inneren Monologen fügt sich ein Puzzleteil zum nächsten, bis sich ein immer noch von Leerstellen gespicktes Ganzes ergibt. Und dies geschieht so kunstvoll und einfühlsam, dass man das Gefühl hat, mit Liss und Sally am Küchentisch zu sitzen, ihren Geschichten zu lauschen und dabei einen Tee zu trinken oder mit ihnen auf dem Feld anzupacken, schweigend aber durch die gemeinsamen Arbeitsabläufe vereint.

Sprache:
Was die beiden Frauen durchgemacht haben, ist keine leichte Kost. Welche Sorgen und Ängste mit sich tragen, kann verstören, aber auch Mut machen und Ewald Arenz schafft es, seine Protagonistinnen mit so wenigen Worten wie möglich und so vielen Worten wie nötig zu beschreiben, dass keine Formulierung zu viel, keine Beschreibung zu aufdringlich oder irgendwie deplatziert wirkt.
Ausserdem zieht sich ein ganz feinsinniger, zarter Humor durch dieses ganze Buch und eine positive Grundhaltung, die dazu einlädt, jeden Tag so zu nehmen, wie er kommt und Schritt für Schritt zu gehen, aber auch immer neue Chancen zu entdecken und diese beim Schopf zu packen.

Meine Empfehlung:
"Alte Sorten" ist ein kleiner Schatz und ein Buch, das ich im Herbst an ganz viele Geburtstagskinder aus meinem Freundekreis verschenken und einigen lieben Menschen unter den Christbaum legen werde. Die Sprache ist von einer poetischen Schönheit, die ihresgleichen sucht und die einfühlsam erzählte Geschichte hat mich tief berührt. Von mir gibt es eine sehr, sehr herzliche Empfehlung für dieses Buch.

Zusätzliche Infos:
Titel: Alte Sorten
Autor: Ewald Arenz, 1965 in Nürnberg geboren, hat englische und amerikanische Literatur und Geschichte studiert. Er arbeitet als Lehrer an einem Gymnasium in Nürnberg. Seine Romane und Theaterstücke sind mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden. Der Autor lebt mit seiner Familie in der Nähe von Fürth.
Taschenbuch: 256 Seiten
Sprache: Deutsch 
Verlag: Dumont
Erscheinungstag: 21.07.2020 
ISBN: 978-3-8321-6530-7

9 Kommentare:

  1. Liebe Livia,
    ich möchte das Buch auch jetzt lesen, aber ich habe schon meinen ganzen SuB durchsucht und finde es nicht. Das hat man davon, wenn man zu großen SuB hat :( Ist schon das zweite Mal, dass mir das passiert und auch Buch Nr. 1 habe ich bis heute nicht gefunden :( ich werde es weiter versuchen oder es mir sonst nochmals kaufen....es passt jetzt gerade so herrlich zur Jahreszeit und lesen möchte ich es ja schon seit Erscheinungstermin.
    Liebe Grüße
    Martina

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    1. Hallo liebe Martina

      Bist du dir denn sicher, dass du es da hattest? Mir ist es auch schon passiert, dass ich dachte, ich hätte ein Buch da, was aber nicht der Fall war und einmal war es umgekehrt und ich habe es doppelt gekauft...
      Obwohl ich immer davon spreche, dass ich dir gerne ein paar Bücher "klauen" würde, ich war es auf jeden Fall nicht ;-)

      Aber "Alte Sorten" lohnt sich auf jeden Fall sehr und falls du es noch einmal kaufst und das andere dann doch noch auftaucht, hast du schon dein erstes Weihnachtsgeschenk bereit ;-)

      Alles Liebe
      Livia

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  2. Hallo Livia

    Das Buch hat mich aufgrund des minimalistschen Covers und Titels sehr neugierig gemacht, weil ich mir beim besten Willen nicht vorstellen konnte, worum es darin gehen soll. Und ich war überrascht, nachdem ich den Klappentext gelesen habe, denn einen Frauenroman hätte ich dahinter nicht als erstes vermutet. :D

    Eine wirklich schöne Rezension, auch wenn mich das Buch inhaltlich jetzt nicht unbedingt zu meinen Lesegewohnheiten passt. Aber schön, dass der Autor dem Titel gerecht wird und die Garten- und Hofarbeit in seine Handlung miteinfliessen lässt. :)

    Liebe Grüsse
    Mel

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    1. Liebe Mel

      Ich verstehe genau, was du meinst, finde "Frauenroman" aber nicht die passende Bezeichnung. Es geht um Freundschaft, Liebe, um Verlust und darum, sich selber anzunehmen. Gleichzeitig wird der Herbst perfekt ins Zentrum gerückt, das Buch passt jetzt also wirklich genau zur Jahreszeit.

      Vielen Dank für deine lieben Worte, das Buch lohnt sich auf jeden Fall.
      Alles Liebe
      Livia

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  3. Das klingt so schön! Ich habe mir das Buch vor ein paar Wochen gekauft und warte noch auf den "perfekten" Augenblick, um es endlich zu beginnen. Du motivierst mich gerade ein wenig, es jetzt sofort lesen zu wollen! :)

    Liebst, Lara.

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    1. Liebe Lara

      Ja, wirklich, der perfekte Augenglick ist "genau jetzt". Die Handlung beginnt am 1.9. und ich habe das Buch am 1.9. zum ersten Mal aufgeschlagen (ohne vorher zu wissen, wie perfekt es passen würde) und das war natürlich eine schöne Überraschung.

      Alles Liebe
      Livia

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  4. Hach "Alte Sorten"... <3
    Es liest sich so wunderschön, da möchte man gar nicht, dass es endet. Ich sollte endlich mal weiter lesen, ich möchte gerne noch etwas mehr Hintergrund zu Sally und Liss erfahren. :)
    Grüessli, Daniela

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    1. PS.: Wenn es ok ist, würde ich dann gerne deine Rezension zu gegebener Zeit bei mir verlinken.

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    2. Hallo liebe Daniela

      Ja klar, das darfst du sehr gerne nachen, darüber freue ich mich immer sehr.

      Die Sprache hat mir ebenfalls sehr gut gefallen und von der Stimmung passt es einfach perfekt in den Herbst.

      Ganz liebe Grüsse
      Livia

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