Rezension: Das rote Adressbuch

Das rote Adressbuch - Sofia Lundberg

Beschreibung des Verlages:
Doris wächst in einfachen Verhältnissen im Stockholm der Zwanzigerjahre auf. Als sie zehn Jahre alt wird, macht ihr Vater ihr ein besonderes Geschenk: ein rotes Adressbuch, in dem sie all die Menschen verewigen soll, die ihr etwas bedeuten. Jahrzehnte später hütet Doris das kleine Buch noch immer wie einen Schatz. Und eines Tages beschließt sie, anhand der Einträge ihre Geschichte niederzuschreiben. So reist sie zurück in ihr bewegtes Leben, quer über Ozeane und Kontinente, vom mondänen Paris der Dreißigerjahre nach New York und England – zurück nach Schweden und zu dem Mann, den sie einst verlor, aber nie vergessen konnte.

Meine Meinung:
Eigentlich wollte ich heute nur kurz in dieses Buch hineinschnuppern und stand ein wenig mehr als fünf Stunden später in Tränen aufgelöst von meinem Leseplatz auf und musste mich zuerst einmal ordnen. Wow, dieses Buch hat definitiv einen Nerv getroffen bei mir.
Gleich zu Beginn erfahren wir, wie Doris, eine am Ende ihres Lebens stehende Frau, ihren Tag verbringt. Nahezu blind und bewegungsunfähig ist sie auf Betreuung angewiesen und neben ihrem Laptop, dank dem sie via Skype Kontakt zu ihren einzigen Verwandten halten und Texte tippen kann, ist ihr Tag sehr eintönig und einsam. Sie hat mich dabei immer wieder an meine Grossmutter erinnert, die zwar eine sehr grosse Familie und viel Besuch hat, aber ansonsten auch ein wenig gefangen in ihrem Haus ist, was mich natürlich besonders berührt hat.
Gemeinsam mit Doris blättern wir also ihr rotes Adressbuch durch und erfahren dabei ganz viele Geschichten aus ihrer Kindheit und Jugend und begegnen auch den verschiedenen Menschen, die ihr Leben geprägt haben. Die meisten im Adressbuch notierten Kontakte sind bereits verstorben, was Doris festhällt, indem sie den Namen der jeweiligen Person durchstreicht und dahinter in grossen Lettern "TOT" vermerkt, was ihrem Leben eine besonders einsame und tragische Komponente gibt.
Und als sie ins Krankenhaus kommt und merkt, dass ihr nicht mehr viel Zeit bleibt, begleiten wir ihre Grossnichte Jenny bei einer spannenden und tragischen Reise in die Vergangenheit und einem emotionalen Wettkampf gegen die Zeit auf der Suche nach den letzten offenen Fragen und Geheimnissen in Doris Leben.

Schreibstil und Handlung:
Ich kann noch immer fast gar nicht glauben, wie viel authentisch und mitreissend erzählte Handlung auf knapp 350 Buchseiten Platz hat. Doris muss ihre Familie nach dem tragischen Tod ihres Vaters bereits als Jugendliche verlassen und kommt dabei unter die Fittiche der legendären und berüchtigten Madame Serafin, bei der sie als Haushälterin arbeiten darf. Nach einem Umzug ins schillernde Paris der Dreissigerjahre wird sie als Manequin gebucht und verdient von da an ihren Lebensunterhalt mit Modeverträgen. Sie ist aber gezwungen, vor den Schrecken des Zweiten Weltkriegs aus dieser rauschenden Modestadt nach New York zu flüchten.
Aber es geschieht noch viel mehr und die Reise geht noch ganz anders weiter. Vor allem begegnet sie nicht nur dem Kubisten Gösta Adrian-Nilsson, einer historischen Figur dieser Zeit, sondern auch der ersten und einzigen grossen Liebe ihres Lebens. Und wie wir alle wissen, ist es die erste grosse Liebe, die man nie wieder vergisst... Natürlich wird es nicht nur romantisch, vielmehr nimmt auch Doris und Jennys Familiengeschichte stets einen grossen Platz in der Erzählung ein und es hat mich begeistert, dass dieses Buch trotz den vielen Stationen in Doris Leben, trotz  so vielen Figuren, Familienmitgliedern, Lebenssituationen und den historischen Hintergründen, nie überladen wirkt.
Und dies liegt vor allem an der zarten Erzählsprache, die einfühlsam auf Doris und ihre Grossnichte Jenny eingeht und die Realität und Fiktion, historische Figuren und Romanhelden gekonnt zu einer stimmigen Geschichte verknüpft. Dabei dominieren viel Schmerz, Leid, Verlust, Einsamkeit, Hunger und Angst. Vor allem die würdelose Behandlung von alten Menschen, die zuhause oder in Spitälern gepflegt werden, hat mich sehr berührt und es war für mich manchmal wirklich sehr belastend, weiterzulesen. Dennoch keimt aber immer wieder Hoffnung auf und Doris erlebt Freundschaft, Hilfe im richtigen Moment und Liebe. Und so hinterlässt mich "Das rote Adressbuch" am Ende zwar aufgewühlt, aber mit der Geschichte versöhnt.

Meine Empfehlung:
Ich empfehle euch dieses wunderschöne, berührende und zart erzählte Buch von Herzen weiter und möchte dabei vor allem noch einmal diese gelungene Verknüpfung so verschiedener Elemente, wie eben historische Ereignisse und Figuren, Familiengeschichte, Beziehungsdrama und einer ganz bewegten und mitreissenden Lebens- und Liebesgeschichte hervorheben. 

Zusätzliche Infos:
Titel: Das rote Adressbuch
Originaltitel: Den röda Adressboken
Autorin: Sofia Lundberg wurde 1974 geboren und arbeitet als Journalistin in Stockholm. Mit ihrem Debütroman »Das rote Adressbuch« eroberte sie die schwedische Literatur- und Bloggerszene im Sturm.
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag: 352 Seiten
Sprache: Deutsch
Originalsprache: Schwedisch
Übersetzt von: Kerstin Schöps
Verlag: Goldmann
Erschienen: 20.08.2018
ISBN: 978-3-442-31499-7 

4 Kommentare:

  1. Hallo Livia,
    oh, ich freue mich so sehr, dass diese Geschichte in der Lage war dich so tief zu berühren. Ich bin mir nicht sicher, ob die Geschichte thematisch etwas für mich wäre, aber ich bin mir sicher, dass Leser dieses Genres hier voll auf ihre Kosten kommen werden.

    Eine sehr schöne Geschichte und eine wundervolle Rezension. Vielen Dank dafür <3

    Ganz liebe Grüße
    Tanja :o)

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Liebe Tanja

      Lies dir doch gerne einmal eine Leseprobe dazu durch. Was denkst du denn, was dir nicht gefallen könnte? Vielleicht denkst du zu sehr an einen Liebesroman. Tatsächlich stehen aber die Geschichte von Doris und ihre ganze Familiengeschichte im Zentrum. Vielleicht dies als Tipp ;-)

      Alles Liebe dir und herzlichen Dank
      Livia

      Löschen
  2. Wow, hat es dich so sehr gerührt, dass dir die Tränen gekommen sind? Das sind in meinen Augen ja immer die besten Bücher. ;)

    Ich fand das jedes Mal sehr bedrückend, wenn ich einen durchgestrichenen Namen und das Wort "tot" daneben gelesen habe. Aber das war die Geschichte im Großen und Ganzen ja auch: bedrückend. In meinen zahlreichen Praktika in meiner Ausbildung zur Krankenschwester habe ich häufig liebloses Behandeln von alten Menschen miterleben müssen und kann deshalb einen Vergleich anstellen. Ich fand die Beschreibungen im Buch eh noch recht liebevoll, im Gegensatz zu dem, was man im normalen Berufsalltag in einem Pflegeheim, Krankenhaus oder in der Hauskrankenpflege so miterlebt ...

    Eine sehr schöne Rezension, liebe Livia! :)

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Eher so, dass ich geheult habe wie ein Schlosshund ;-)

      Mir ging es genau gleich mit den Namen und eben genau auch weil ich weiss, wie alte Menschen manchmal (leider) behandelt werden, hat mich das sehr betroffen gemacht. Zugleich aber war da die wunderbare Jenny, die Doris einfach so viel gegeben hat und wow, diese Geschichte. Siehst du, ich komme sofort wieder ins Schwärmen :-)

      Vielen Dank dir und alles Liebe
      Livia

      Löschen

Ich freue mich über jeden lieben Kommentar, über Anregungen und konstruktive Kritik. Ausserdem möchte ich darauf hinweisen, dass ihr mit Absenden eines Kommentars zur Kenntnis nehmt und zustimmt, dass dabei personenbezogene Daten gespeichert werden.