Rezension: Der Gedankenspieler

https://www.kiwi-verlag.de/buch/der-gedankenspieler/978-3-462-05177-3/ 
Ich danke dem Verlag Kiepenheuer&Witsch sehr herzlich für die Bereitstellung dieses Rezensionsexemplares.

Der Gedankenspieler - Peter Härtling

Beschreibung des Verlages:
Peter Härtlings letztes Buch: ein bewegender Roman über das Alter, die Freundschaft und die Einsamkeit.
Johannes Wenger, ein achtzigjähriger alleinstehender Architekt, ist gestürzt und seither auf den Rollstuhl und Pflege angewiesen. Das kratzt an seinem Selbstbild, macht den Alltag mühsam und lässt viel Raum für Einsamkeit und Wehmut. Sein junger Hausarzt Dr. Mailänder jedoch hält dagegen und Wenger am Leben, holt ihn zurück in die Welt und lädt ihn mit seiner Familie zu einem gemeinsamen Osterurlaub ein. Wie der grantige Alte auf diese Einladung reagiert, ist meisterhaft erzählt. Und was alles geschehen kann, wenn man mit einem kauzigen Rollstuhlfahrer, der gedanklich in ständigem Austausch steht mit historischen Figuren wie den Architekten Karl Friedrich Schinkel oder Mies van der Rohe, an den Strand von Travemünde reist, ist ein großes Leseerlebnis voller Komik und Melancholie.
Mit viel Gefühl, genauem Blick und voller Selbstironie nimmt Härtling seine Leser mit in die Mühsal des Alters, die sich auch in seinen Träumen spiegelt, um deutlich zu machen, welch großes Glückspotenzial auch diese Lebensphase besitzt.

Meine Meinung:
Ich weiss nicht, ob ich ohne Instagram überhaupt auf dieses Buch aufmerksam geworden wäre. Wirkt es doch mit seinem wunderschönen aber doch eher blassen Cover nicht ganz so reisserisch im Regal und thematisiert es doch Dinge, die uns zwar alle betreffen, denen wir aber gerne ausweichen. Das Alter beispielsweise. Der Zerfall, die Gebrechlichkeit, die Hilflosigkeit, die Regungslosigkeit und Ohnmacht, die mit dem Alter einhergehen können. Gerade aber weil auch Freundschaft und Lebenswille, eine beeindruckende Flexibilität in der Gedankenwelt und die Weitsicht und Weltanschauungen eines Kindes eine grosse und vor allem sehr positiv behaftete Rolle spielen, lohnt es sich, dieses autobiographisch angehauchte Buch zu lesen.
Beim Lesen habe ich mich schmerzlich mit Gedanken um Sinn und Unsinn aller medizinischer Errungenschaften (die zwar so im Buch nicht allzu konkret aufgeworfen werden, sich aber aufgrund der Präsenz der teilweise sehr invasiven Therapien doch aufdrängen) auseinandersetzen müssen, bin aber auch bestens vom zynischen und selbstironischen "Gedankenspieler" und der herzlichen und typisch kindlich-altklugen Katharina unterhalten worden.

Schreibstil und Handlung:
Die in Gedanken formulierten und teilweise auch zu Papier gebrachten Briefe des Ich-Erzählers an bekannte Persönlichkeiten und Sagenfiguren, wie auch die Lebensumstände des alternden Protagonisten, weisen starke Parallelen zur Biografie des Autors auf und lassen trotzdem dennoch sehr viel Spielraum für Gedankenexperimente und Fiktion. Darauf wird im fundierten Nachwort des Herausgebers, der intensiv mit Peter Härtling zusammengearbeitet hat, hingewiesen. Ich schätze solche zusätzlichen Informationen und Hintergründe jeweils sehr.
Mit Langsamkeit und sehr würdevoll nähert sich der Autor einem Alltag, den er so oder ähnlich sehr gut kennt. Erwachsenenwindeln und Wein, Zuckermessungen und Rollstühle. Aber ein Leben ist immer nur so lebenswert, wie man es sich selber gestaltet. Und so bestimmt der Ich-Erzähler seine Gedanken selbst, gibt sich ihnen hin und lässt andere daran teilhaben und zeigt damit auf, dass ein junggebliebener und wacher Geist, dass Freundschaften und ein Kinderlachen für so viele Unannehmlichkeiten entschädigen können.

Meine Empfehlung:
Wenn alles gut geht und wir die nächsten paar Jahre überleben, wird es uns alle ereilen, das Alter. Und während einige im Alter von achzig Jahren noch täglich Yoga praktizieren und ab und an ihre Bahnen im Schwimmbad ziehen, sind andere da schon längst auf den Rollstuhl und auf Pflege angewiesen. Aber was bleibt, wenn eben nur noch das täglich Essen auf Rädern und die spärlichen Besuche der Angehörigen und Freunde den Alltag bestimmen? Im besten Fall schnelle und kluge Gedanken und eine Freundschaft, die einen durch die hellen und dunklen Tage trägt. Und genau weil uns "Der Gedankenspieler" aufzeigen kann, wie würdevoll und abenteuerlich das Altern sein kann, ist es jede Sekunde wert, die man mit diesem Buch verbringt, weshalb ich es euch sehr herzlich empfehle.

Zusätzliche Infos:
Titel: Der Gedankenspieler
Autor: Peter Härtling, geboren 1933 in Chemnitz, arbeitete als Redakteur bei Zeitungen und Zeitschriften.1967 wurde er Cheflektor des S. Fischer Verlages in Frankfurt am Main und war dort von 1968 bis 1973 Sprecher der Geschäftsführung. Seit 1974 arbeitet er als freier Schriftsteller. Das gesamte literarische Werk von Peter Härtling ist lieferbar im Verlag Kiepenheuer & Witsch, zuletzt erschienen »Liebste Fenchel! Das Leben der Fanny Hensel-Mendelssohn in Etüden und Intermezzi«, 2011, und »Tage mit Echo. Zwei Erzählungen«, 2013. Peter Härtling wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, zuletzt mit dem Hessischen Kulturpreis 2014 und dem Elisabeth-Langgässer-Preis 2015. Peter Härtling verstarb am 10. Juli 2017.
Gebunden, mit Schutzumschlag: 240 Seiten 
Sprache: Deutsch
Verlag: Kiepenheuer&Witsch
Erschienen am: 08.03.2018
ISBN: 978-3-462-05177-3

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