Rezension: Als das Meer uns gehörte

Als das Meer uns gehörte - Barbara J. Zitwer

Beschreibung des Verlages:
"Dieses Buch riecht nach Meer. Nach der Lektüre will man die Welt einfach nur umarmen." Hape Kerkeling
Nach dem Tod ihres Mannes sucht Tess Harding mit Robbie, ihrem gehörlosen Sohn, Zuflucht in Montauk, einem Dorf auf Long Island. Trotz all ihrer Bemühungen schafft sie es nicht, ihrem Kind zu helfen, den Verlust zu verkraften. Robbie gibt ihr die Schuld am Tod seines Vaters, so dass Tess fürchtet, auch ihn noch zu verlieren. Dann begegnen sie einem Meeresbiologen: Kip ist auf der Suche nach einem Wal mit einem einzigartigen Gesang. Robbie ist fasziniert von dem Tier und findet einen Weg, es im Meer aufzuspüren. Die Begegnungen mit dem Wal helfen ihm, seine Isolation zu überwinden – und Tess hat zum ersten Mal die Hoffnung auf einen Neuanfang.
Ein gehörloser Junge, eine Frau, die ihren Mann verloren hat, ein Meeresforscher – und ein Blauwal, der sie auf eine Reise über den Ozean führt.  

Inhalt:
Robbie ist gehörlos, aber aufgrund eines Cochlea-Implantats kann er hören, sprechen und musizieren. Sein Instrument ist die Tuba, die er von seinem Vater, einem arbeitslosen Musikproduzenten, geschenkt bekommen hat. Als dieser Vater auf offener Strasse erschossen wird, ist für Robbie und seine Mutter nichts mehr, wie es vorher war. Vorwürfe, Schuldzuweisungen, Verlustängste und eine enorme Trauer überschatten den weiteren Alltag. Aber Tess beschliesst, mit ihrem Sohn nach Montauk zu fahren und dort eine Weile bei ihrem Onkel Ike zu leben. Sie hofft ausserdem, Robbie das Meer und die Landschaft ihrer Kindheit näherzubringen. Der wehrt sich anfänglich, doch als er die Bekanntschaft mit dem Segler und Meeresbiologen Kip und dem Wal Benny macht, beginnt er, wieder Freude an seinem Leben zu finden.

Meine Meinung:
Ach, ihr Lieben, wo fange ich an... Die Grundidee zu diesem Buch ist wundervoll, überzeugend, bewegend und sehr aussergewöhnlich. Ein gehörloser Sohn, der nicht nur trotzdem hört, sondern auch noch Musik macht, seine Mutter, die als Schuhdesignerin und Workaholic in einer ganz eigenen Welt lebt, ein plötzlicher Schicksalsschlag, eine abgelegene Küste in Montauk, ein Wal und ein Onkel, der in seinem Restaurant Hilfe benötigt und nebenbei auch die einzige Figur ist, die ausgearbeitet wirkt und die ich wirklich gemocht habe...das wären doch eigentlich die perfekten Zutaten für eine wundervolle Geschichte und ausserdem ist dieses Cover, eine Augenweide, findet ihr nicht auch? Vor allem gefällt mir sehr gut, wie der Wal im Cover "versteckt"worden ist.
Nur leider bleiben die anderen Figuren kalt und flach, Robbie ist nicht nur eine schreckliche Nervensäge sondern per Definition ein (entschuldigt bitte, das werde ich nie wieder in einer Rezension verwenden, aber hier passt es einfach) absolutes A...kind. Er hasst und verurteilt seine Mutter, was natürlich schon ein wenig verständlich ist, aber er ist nicht nur vorlaut, unanständig, ignorant, egoistisch und verwöhnt, er ist auch noch gemein und verletzend und tyrannisiert Tess nach Strich und Faden. Ausserdem wirkt er wesentlich älter als ein Neunjähriger und benimmt sich wie ein total eskalierter Teenager. Tess hingegen ist die ewig unterwürfige Mutterfigur, die sich stets entschuldigt, sich verantwortlich für die inexistente Erziehung ihres Sohnes fühlt (weil sie immer gearbeitet hat) und ihren verstorbenen Mann, der alles andere als ein Engel war, noch sehr lange in Schutz nimmt. Wenn aber die Eltern bei der Erziehung versagt haben, wer trägt dann die Hauptverantwortung? Der Vater, der stets zu Hause geblieben ist und sich um den Sohn gekümmert hat oder die Mutter, welche die Familie mit ihrer Arbeit ernährt hat? Eben...

Schreibstil und Lektorat:
"Als das Meer uns gehörte" ist leider das beste Beispiel dafür, wie ein schlechtes Lektorat eine eigentlich fantastische Grundidee, die nur von mangelhaften Charakterskizzen geprägt ist, komplett zerstören kann. Es sind aber keine Tippfehler, sondern sehr kleine (und grössere) logische Unstimmigkeiten, welche den Lesefluss stören. Beispielsweise nimmt Robbie seine Hörgeräte manchmal (oft zum Trotz) ab und versteht dann trotzdem, das jemand mit ihm spricht und erst einige Sätze später - als wäre dann erst bei der Überarbeitung aufgefallen, dass Robbie ja eigentlich gehörlos ist und auch nur dann lippenlesen kann, wenn man ihn anschaut - wird plötzlich erwähnt, dass jemand "gebärdet", also in Gebärdensprache mit ihm spricht, was aber vom Zusammenhang her und von der Position aus, in der die Figuren zueinander stehen, auch gar nicht sein kann. Oder gebäderdet mal ohne einander anzublicken und im Meer schwimmend oder während ihr ein Segelschiff manövriert, das möchte ich dann aber sehen.
Ausserdem heisst der Wal, den der Meeresbiologe Kip vefolgt (und diese Walgeschichte ist übrigens der wohl schönste Aspekt an diesem Buch, dafür gibt es von mir ein riesiges, ernstgemeintes Lob), Benny. Nach Benny Goodman, dem "grössten Trompeter aller Zeiten". Etwas bemerkt? Natürlich kann man darüber streiten, wer der grösste Trompeter aller Zeiten war (ich bin mir sicher, es war Miles Davis), aber Benny Goodman, der war halt einfach Klarinettist, das ist nicht wegzudiskutieren...
Ausserdem hilft Tess ihrem Onkel Ike bei der Renovation seines alten Motels und richtet später auch noch eine eigene Wohnung für sich ein, und mehrmals wird sehr präsent und nicht wirklich in den Kontext passend erwähnt, wie sie die Einrichtung ein wenig "weiblicher" gestaltet. Wirklich? Come on... Es sind diese kleinen und grösseren Details, die einer/m Lektor*in hätten auffallen müssen und es ist sehr schade, dass die Schwächen dieses Buches, nämlich vor allem die oberflächlich gestalteten Protagonisten, durch diese Unstimmigkeiten und irritierenden Momente noch verstärkt worden sind.
Doch eigentlich wäre dieses Buch die Geschichte einer kleinen Familie, die einen Schicksalsschlag überwindet, lernt, mit ihrer Trauer zu leben und vielleicht sogar neue Hoffnung schöpft. Das kommt leider komplett zu kurz, obwohl es so viele Gelegenheiten gegeben hätte, dies stimmig einzubringen.
Was mir aber wirklich gefallen hat: dieses Buch ist eine grosse Gesellschaftskritik. Da geht es um Gewalt auf offener Strasse, um Verschmutzung und zugemüllte Strände und am Ruf der Stadt New York wird kein gutes Haar gelassen. Schade, dass diese Aspekte nicht weiter ausgearbeitet worden sind, denn wenn ich nun an dieses Buch denke, sehe ich einfach nur verschwendetes Potenzial und das ist unendlich schade.

Fazit:
Die Idee, welche diesem Buch zugrunde liegt, ist wundervoll, vielversprechend und nicht alltäglich und vor allem der Handlungsstrang, der sich mit dem Wal Benny und dem Meeresbiologen Kip befasst, ist sehr gelungen. An der Umsetzung und nicht zuletzt auch am Lektorat happert es aber leider so sehr, dass auch diese schöne Grundidee und der sehr flüssige Schreibstil nicht darüber hinwegtrösten können. Von mir gibt es keine Empfehlung für dieses Buch. Es wird in den offenen Bücherschrank wandern und hoffentlich bald eine neues Zuhause finden.

Zusätzliche Infos:
Titel: Als das Meer uns gehörte
Originaltitel: When The Sea Belonged To Us
Autorin: Barbara J. Zitwer ist Absolventin der Columbia Film School, schrieb Drehbücher und arbeitete als Filmproduzentin. Sie hat eine renommierte literarische Agentur in New York, wo sie mit ihrem Mann und ihren zwei Hunden lebt. Ihre Kindheit verbrachte sie zu großen Teilen an den Stränden von Montauk, und seitdem haben sie die Faszination der Wale und der Zauber des Meeres nicht mehr losgelassen. Mehr Informationen zur Autorin unter www.alsdasmeerunsgehoerte.com
Aus dem Englischen von: Yasemin Dinçer
Gebunden mit Schutzumschlag: 389 Seiten
Verlag: Rütten & Loening (heute Aufbau-Verlag)
Erscheinungsdatum: 17.03.2017
ISBN: 978-3-352-00892-4

6 Kommentare:

  1. Hallo Livia,
    ups, Benny Goodman als bester Trompeter? Tja.....was soll man dazu sagen? Man könnte ja eigentlich nur googeln, wenn man sich nicht auskennt...
    Das mit der Gebärdensprache ist da auch so eine Sache. Solche unausgegorenen Dinge in einem Roman stoßen mir auch immer übelst auf! Potential hätte die Geschichte allemal gehabt.
    Das war wohl eindeutig nichts...schade!
    Liebe Grüße
    Martina

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Liebe Martina

      Ja, defintiiv, da hast du recht.

      Ich finde es immer total schade, wenn so gute Ideen nachher so schlecht umgesetzt werden. Gerade den Handlungsstrang mit dem Wal habe ich wirklich sehr gemocht und man merkte auch sehr gut, dass sich die Autorin diesbezüglich gut auskennt und auch Montauk über alles liebt. Um so mehr ärgert es mich dann, wenn auch am Verlag nicht daran gelegen ist/war, mehr aus diesem Buch zu machen...

      Wirklich total schade. Aber das nächste Buch wird sicher besser ;-)
      Alles Liebe
      Livia

      Löschen
  2. Hallo Livia, :)
    das Buch klang im ersten Moment vielversprechend. Wie schade, dass es das aber nicht halten konnte, sondern im Gegenteil dann auch noch solche Unstimmigkeiten enthält. Ich hätte das mit dem Klarinettisten auch nicht gewusst, aber man recherchiert doch vorher für ein Buch und sollte das dann auf jeden Fall auch merken.

    Gebärden im Meer, ja, das will ich auch sehen. :D

    Liebe Grüße
    Marina

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Hey meine liebe Marina

      Ja, das war es auch, aber leider happerte es einfach zu sehr in der Umsetzung, obwohl ich die Grundidee nach wie vor sehr gelungen finde und auch die ganze Aufmachung...das Buch ist optisch gesehen ein absoluter Schatz.

      So schade...aber sicher klappt es beim nächsten Buch wieder und sonst wird immerhin Platz im Regal geschaffen ;-)

      Alles Liebe
      Livia

      Löschen
  3. Hallo Livia,

    schade, dass dich das Buch nicht so richtig überzeugen konnte. Es hört sich wirklich toll an und hat mich neugierig gemacht. Zwar wäre es mir vielleicht ein bisschen zu traurig/dramatisch, aber der gehörlose Junge scheint doch erstmal eine interessante Figur zu sein. Wie blöd, dass er dann so unsympathisch ist.

    Ich musste ja ein bisschen lachen, als ich deine Worte über den Trompeter/Klarinettist gelesen habe. Allerdings eher aus Verzweiflung. Hast du zufällig mal den Verlag deswegen angeschrieben? Hätte mich ja interessiert, was die dazu sagen. Und was mich auch interessieren würde: Wer hat da den Fehler gemacht? Die Autorin selbt (was dann sehr peinlich wäre) oder ist das ein Übersetzungsfehler (was ebenfalls peinlich wäre. Das wäre ja so, als würde man aus "car" in der Übersetzung Fahrrad machen)? Wie auch immer, es ist jedenfalls blöd wenn so ein Fehler passiert, zumal hier ja die Musik eine Rolle spielt und der Name eine Bedeutung hat.

    Liebe Grüße
    Julia

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Liebe Julia

      Ja, das stimmt, das wäre wirklich so eine fantastische Geschichte gewesen und ich bin mir auch sicher, dass die Struktur mit einer besseren Umsetzung und einem besseren Lektorat ein absoluter Bestseller hätte werden können.

      Ja, ich habe auch gelacht. Sehr ungläubig zwar, aber gelacht. Der Witz ist ja dann vor allem, dass der Wal Benny heisst. Also immer, wenn der Wal vorkommt, musste ich wieder daran denken ;-) Aber du hast natürlich recht, wer auch immer da gepatzt hat, hat richtig gepatzt. Das Buch ist mittlerweile nicht mehr beim ursprünglichen Verlag, sondern beim Aufbau-Verlag und ich hoffe sehr, dass das korrigiert worden ist... Das wäre ja noch... :O

      Ganz liebe Grüsse an dich
      Livia

      Löschen

Ich freue mich über jeden lieben Kommentar, über Anregungen und konstruktive Kritik. Ausserdem möchte ich darauf hinweisen, dass ihr mit Absenden eines Kommentars zur Kenntnis nehmt und zustimmt, dass dabei personenbezogene Daten gespeichert werden.