Wir sitzen im Dickicht und weinen - Felicitas Prokopetz
Beschreibung des Verlages:
Valerie hat nicht die einfachste Beziehung zu ihrer Mutter. Am besten
klappt es, wenn die beiden einander nur selten sehen. Doch eine
Krebsdiagnose schafft neue Tatsachen – vom einen Tag auf den anderen
muss Valerie für ihre Mutter da sein, ganz gleich, wie schwer ihr das
fällt. Und sie bekommt es mit der Angst zu tun: Was, wenn dies
tatsächlich das Ende ist? Als zeitgleich Valeries Sohn beschließt, ein
Schuljahr im Ausland zu verbringen, droht ihre Welt vollends aus den
Fugen zu geraten.
Inhalt:
Ihre eigene Kindheit hat Valerie nicht sehr glücklich in Erinnerung, weshalb sie es bei ihrem Sohn anders, besser machen will und ihm ein Zuhause schafft, in dem er nach Strich und Faden verwöhnt wird. Doch der sechzehnjährige Tobias will seinen eigenen Weg gehen, ein wenig räumliche Distanz zwischen sich und seine Mutter bringen. Als Valeries eigene Mutter Christina an Krebs erkrankt und mit ihrem plötzlichen Bedürfnis nach ungeteilter Aufmerksamkeit alte Wunden aufreisst, kommt Valerie an ihre Grenzen und muss sich intensiv mit dem Loslassen und der Befreiung von eigenen Vorurteilen und eingeredeter Schuld auseinandersetzen.
Meine Meinung:
Ich bin froh, dieses Buch in einer Leserunde gelesen zu haben, es bietet viel Diskussionsstoff und noch mehr Handlung auf wenigen Seiten. Prokopetz arbeitet mit Leerstellen und webt doch einen sehr dichten Text, den ich gerne als Buch gelesen hätte, weil ich beim Lesen von eBooks immer das Gefühl habe, oberflächlicher zu lesen. Leider gab es Probleme mit den Leseexemplaren und damit wir das Buch trotzdem rechtzeitig lesen konnten, haben wir alle ein eBook erhalten, was natürlich eine gute Lösung war und wofür ich auch dankbar bin.
Leider war es tatsächlich so, dass ich während des Lesens permanent das Gefühl hatte, nie wirklich Tiefgang zu erfahren, den Figuren nie richtig nahe zu kommen. Klar lässt Prokopetz einige sehr wichtige, grosse Themen wie verschiedene Facetten von Mutterschaft oder den Kampf um Frauenrechte in ihre Geschichte einfliessen und ja, es wird immer wieder einmal emotional, es geht hitzig zu. Und doch kann ich mir keine Figur (vor allem nicht Valeries Vorfahren) bildlich vorstellen, ihr Handeln kann ich begrenzt nachvollziehen, ihre Dramen berühren mich kaum. Und ja, das liegt sicher am Medium, aber ich denke auch, dass ein paar Seiten und Details mehr der Geschichte alles andere als geschadet hätten. Die Idee hat mich sehr überzeugt, auch wenn das Ende vorhersehbar war, hätte die Umsetzung für mich noch runder sein können. Vielleicht liegt es daran, dass feministische Texte zu meinem Alltag gehören und ich schon viele Bücher gelesen habe, welche ähnliche Themen, wie das Durchbrechen toxischer, patriarchisch geprägter Familienstrukturen, beinhalten. "Blutbuch" von Kim de l'Horizon erzählt beispielsweise eine ähnliche Familiengeschichte, es beleuchtet ebenfalls mehrere Generationen von Frauen. Dennoch denke ich, dass "Wir sitzen im Dickicht und weinen" aufwühlender und unangenehmer hätte sein, den Finger noch mehr in die Wunde hätte legen dürfen.
Schreibstil und Aufbau:
In den eher kurzen Kapiteln wird in zwei Handlungssträngen die Geschichte von Valeries Familie erzählt. Die Gegenwart zeigt Valeries gerade eher ausweglos scheinende Situation aus, in der Vergangenheit begegnen wir Valeries Urgrosseltern und nähern uns nach und nach der Gegenwart an. Es tauchen sehr viele Personen auf, die Zeitsprünge sind oft eher gross und weil sich im Buch kein Stammbaum findet, ist es empfehlenswert, sich selber einen zu skizzieren.
Es ist spannend und fordernd zugleich, sich mit den familiären Strukturen in diesem Buch auseinanderzusetzen. Es waren natürlich andere Zeiten, die Verantwortung für die Erziehung und den Haushalt lag fast immer fast vollständig bei den Müttern, die Gewalt, die ihnen von ihren Männern und ihren eigenen Müttern angetan worden war, belastete sie und alle ihre Beziehungen. Valerie versucht, dieses transgenerationale Trauma hinter sich zu lassen, toxische Strukturen aufzubrechen, Grenzen zu ziehen, es anders zu machen. Beim Lesen wird schmerzlich bewusst, welche Opfer Valerie auch dafür bringen muss, für sich und ihre eigenen Entscheide einzustehen und dass wir leider noch weit von einer Gesellschaft entfernt sind, in der Frauen und Männer die gleichen Möglichkeiten haben.
Meine Empfehlung:
Ich bin beeindruckt von der Wucht und Fülle dieser Geschichte, die auf so wenigen Seiten Platz hat, von dieser grossen Idee, dieser klugen, aufwändigen Umsetzung. Ein wenig detaillierter hätte ich mir alles gewünscht, ein wenig näher hätte ich den Figuren sein wollen, aber insgesamt überzeugt dieses Debüt und macht Lust auf mehr.
Zusätzliche Infos:
Titel: Wir sitzen im Dickicht und weinen
Autorin: Felicitas Prokopetz studierte Philosophie an der Universität Wien und
Sprachkunst an der Universität für Angewandte Kunst sowie Literarisches
Schreiben am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Sie lebt und arbeitet
als Autorin und Texterin in Wien.
Sprache: Deutsch
Hardcover mit Schutzumschlag: 208 Seiten
Verlag: Eichborn
Ersterscheinung: 26.01.2024
ISBN: 978-3-8479-0161-7
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Hallo liebe Livia,
AntwortenLöschenich finde alleine das Thema toxische Beziehungen schon sehr spannend. Allerdings muss ich sagen, dass mich deine Worte betreffend der fehlenden Figurenbindung skeptisch zurücklassen. Gerade die persönlichen Dramen sind es, die mich hier ansprechen würden. Und gerade die sind dir nicht so nahe gegangen. Nun mag das zum Teil am Format eBook gelesen haben. Ich denke aber, dass es auch über das Buchformat hinaus dann ggf. auch an der Darstellung der Autorin gelegen haben könnte.
Ich freue mich aber sehr, dass du im Fazit mit Neugierde auf mehr und auch einem positiven Leseeindruck hervorgegangen bist. Das zeugt davon, dass die Autorin viel Talent besitzt, was Schreibstil, und auch den weiteren Part der Umsetzung betrifft. Du hast auf jeden Fall meine Neugierde geweckt.
Ich wünsche dir einen schönen Start ins Wochenende.
Liebe Grüße
Tanja :o)
Liebe Tanja
LöschenJa, das ist wirklich eine Sache, die mich gestört hat und ich war nicht die einzige, deshalb liegt es sicher auch, aber nicht nur am Medium.
Das stimmt, die Autorin werde ich auf jeden Fall im Auge behalten.
Alles Liebe
Livia