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30 Juni 2020

Rezension: Joy at Work

Joy at Work - Marie Kondo, Scott Sonenshein

Beschreibung des Verlages:
Aufgeräumt und erfolgreich im Arbeitsleben 
Bestsellerautorin Marie Kondo und Unternehmensexperte Scott Sonenshein adaptieren die weltberühmte Kon-Mari-Methode für die Arbeitswelt und zeigen, wie wir unseren Arbeitsalltag produktiver, effizienter und erfolgreicher gestalten können, sodass wir zu Motivation, Zufriedenheit und Kreativität im Job zurückfinden. Ob es um die Gestaltung des Arbeitsplatzes geht, um richtiges Zeitmanagement, Führung, gute Kommunikation, erfolgreiches Netzwerken oder produktive Meetings - die Autoren zeigen, wie wir das erreichen und versammeln zahlreiche praktische Tipps, die den Lesern bei der Organisation ihres Arbeitslebens helfen.

Inhalt:
Wie ein (fast) leerer Schreibtisch, übersichtliche Mail-Ordner, freudbringende Dekoration und aufgeräumte, entrümpelte Schubladen und Dokumente nicht nur für mehr Kreativität, sondern vor allem auch Produktivität beim Arbeiten sorgen, erzählt Marie Kondo in ihrem aktuellsten Buch und schreibt gleich noch, wie das Aufräumen schnell gelingen kann und wie die Ordnung auch längerfristig bestehen bleibt. Gemeinsam mit Scott Sonenshein zeigt sie aber auch auf, wie sich Entscheidungen ordnen, entrümpeln und treffen, wie sich Kontakte und Meetings organisieren lassen und wie mit mehr Motivation, Freude und Effizienz gearbeitet werden kann.

Meine Meinung:
Marie Kondos Methoden sind mir schon oft im Internet begegnet und durften in meinen Kleiderschrank, die Schuhregale und diverse Schränke und Schubladen unserer Wohnung einziehen. Auch in meinem Arbeitszimmer habe ich stets neue Methoden und Ordnungssysteme ausprobiert, bin dabei aber kläglich gescheitert. Die ganzen Musikalien und Unterrichtsmaterialien habe ich zwar zum Glück schon seit Jahren im Griff, die Termine lassen sich auch noch sehr gut handeln, aber die Dokumente, Verträge, Rechnungen, Berichte, Projektdossiers usw. rauben mir des Öfteren den letzten Nerv. Deshalb war es mir ein grosses Anliegen, auch hier endlich Ordnung zu schaffen und so auch produktiver zu werden und mein Arbeitszimmer nicht mehr einfach nur vollzustapeln (und dann mit schlechtem Gewissen die Stapel von Ecke zu Ecke zu räumen), sondern auch wieder mit Freude nutzen zu können. Vor allem das erste Drittel des Buches, das sich mit dem Organisieren und Aufräumen befasst und das von Marie Kondo geschrieben worden ist, hat mir in den letzten Wochen geholfen, meinen Arbeitsbereich endlich in Ordnung zu bringen. Darüber bin ich total froh.
Das zweite Drittel, in dem Scott Sonenshein zu Wort kommt, behandelt aber das Verhalten und Arbeiten in grösseren Firmen, in Teams, während Meetings und beim Führen von Angestellten, Koordinieren von Terminen und Delegieren von Aufgaben. Auch wenn hier halbherzig die Kon-Mari-Methode angewandt wird, dienen diese vor Wiederholungen strotzdenden Kapitel nur so der Selbstbeweihräucherung und Profilierung der Überlegenheit des Autors. Unsympathisch, nicht wirklich zusammenhängend und vor allem nicht zielführend mansplaint der Unternehmer in Marie Kondos Fachgebiet herum und auch wenn einzelne Tipps (beispielsweise zum Ordnen von Dokumenten oder Priorisieren von Entscheidungen) wirklich hilfreich sind, so greift er doch vor allem zahlreiche Themen auf, die nichts mit dem Ordnen und Organisieren zu tun haben, sondern einfach dazu dienen sollen, seinen Erfolg und seine Erfahrung als Manager in ein gutes Licht zu rücken.

Beispiele gefällig?
Marie Kondo schreibt auf Seite 112 im Unterkapitel "Zeit richtig einteilen"...
Momentan macht mich meine Arbeit sehr glücklich, doch es hat eine Zeit gegeben, in der mein Terminkalender so voll war, dass ich körperlich und geistig an meine Grenzen stiess. Das war 2015, kurz nachdem ich vom Time Magazin unter die 100 einflussreichsten Menschen gewählt worden war und mit Anfragen aus aller Welt überschüttet wurde.
...und geht dann dazu über, wie sie sich von diesem Druck wieder lösen konnte und listet sofort zahlreiche hilfreiche und praktische Tipps auf.

Scott Sonenshein schreibt auf Seite 114 im Unterkapitel "Zeit richtig einteilen"...
Als ich vom Juniorprofessor frisch von der Hochschule zum Stiftungsprofessor aufstieg (die höchte Auszeichnung an der Universität), wurde ich immer häufiger für verschiedene Tätigkeiten angefragt, die für meine Hauptaufgaben, die Forschung und die Lehre, keinerlei Bedeutung hatten (....Satz geht noch ewig weiter)
... und schwadroniert dann zwei ganze weitere Abschnitte lang weiter über seine damalige Wichtigkeit, die Unfähigkeit der anderen (die ja dann seine Angestellten waren) und liefert erst auf der nächsten Seite einen ersten halbherzigen Tipp zur Zeiteinteilung.

Erst ganz am Ende des Buches kommt Marie Kondo wieder zu Wort und nennt dann noch ein paar allgemeine Tipps für mehr Ordnung und Freude im Arbeitsalltag, die aber leider auch nur irgendwie eine Wiederholung der vorherigen Kapitel sind und nicht wirklich zu einem positiven Gefühl beitragen.

Die Vermischung der Zuständigkeitsbereiche:
Was mich aber noch viel stärker gestört hat, hat mit dem Ziel des Buches zu tun. An welches Publikum richtet sich dieses Buch? Welche Tipps helfen für welche Arbeitsbereiche? Marie Kondos Ansatz richtig sich vor allem an Selbstständige und Menschen, welche zumindest über einen eigenen Arbeitsplatz verfügen und diesen auch zu grossen Teilen selber gestalten können. Scott Sonensheins Inputs richten sich vor allem an Menschen in Führungspositionen, oder Menschen, die in grösseren Unternehmen Karriere machen wollen und sind wohl deshalb für viele von uns nicht zielführend. Einzelne Gedankengänge (wie trage ich selber zu einem erfolgreichen Meeting bei, wie ordne ich mein Netzwerk, welche Aufgabenbereiche machen mir Freude) sind da zwar sicher hilfreich, aber das Delegieren von Arbeitsschritten ist oft nicht das, was letztendlich im normalen Angestellten-Alltag realistisch ist. Alle diese Bereiche werden aber wild vermischt, die Handhabung der eigenen, persönlichen Ordnung von Dokumenten (das können auch die Steuerunterlagen sein und damit haben nun wirklich alle von uns zu tun) wird nahtlos ergänzt mit Informationen zur Zusammenstellung von erfolgreichen Teams, das passt doch alles irgendwie so gar nicht zusammen und ist in meinen Augen nicht sinnvoll aufgeteilt. Ja, es lohnt sich natürlich, zuerst einmal mit dem Aufräumen des Arbeitsplatzes zu beginnen, aber dann muss man doch die weiteren "Aufräumgebiete" ein wenig nach Funktion des Arbeitnehmers/Arbeitgebers (oder Selbständigkeit) oder nach der Position innerhalb einer Firma aufteilen, finde ich, sonst entsteht ein enormes Chaos, das beim Lesen weder für Freude, Input noch dem Willen, sich bald wieder an die Arbeit zu machen, sorgt.

Fazit:
Leider war nur das erste Drittel dieses Buches eine Bereicherung für mich, die weiteren Abschnitte haben für Verwirrung, Ärger, Unverständnis und Chaos gesorgt. In meinen Augen ist die "Zusammenarbeit" des Autoren-Duos gescheitert und Marie Kondo hätte sich diesem Buch, das vor allem von Fans ihrer Arbeit (und ihrer Methoden) gekauft wird - und die sicher auch gewisse Erwartungen an die Umsetzung und Art der Aufräumhilfe haben - alleine annehmen sollen.

Zusätzliche Infos:
Titel: Joy at Work
Autorin: Marie Kondo arbeitet als selbständige Beraterin für Aufräumen und Ordnung. Nach dem Studium begann sie, die «KonMari-Methode» zu entwickeln, aus der mehrere Weltbestseller hervorgingen. Das Time Magazin zählte sie zu den 100 einflussreichsten Frauen weltweit. Ihre Bücher wurden in fast 40 Sprachen übersetzt. Im Englischen wurde ihr Nachname sogar zum Verb: «to kondo» als Synonym für «radikal aufräumen». Marie Kondo lebt mit ihrer Familie in Kalifornien.
Autor: Scott Sonenshein ist Professor an der Rice University School of Business mit dem Forschungsschwerpunkt "Positive Organizations". Er studierte an der University of Michigan, der University of Cambridge und University of Virginia. Scott arbeitete als Strategieberater für Unternehmen wie Microsoft und AT & T und schreibt regelmäßig für die New York Times, das Time Magazine, die Fast Company und die Harvard Business Review. Er lebt mit seinen beiden Töchtern und seiner Frau Randi in Houston, Texas.
Sprache: Deutsch
Aus dem Englischen von:  Antoinette Gittinger; Ursula Pesch; Rita Gravert; Katja Hald
Hardcover mit Lesebändchen: 224 Seiten
Verlag: Wunderlich
Erscheinungstermin: 28.04.2020
ISBN: 978-3-8052-0056-1

29 Juni 2020

Rezension: Die Liebe kommt auf Zehenspitzen

 
Dieses Buch habe ich im Rahmen einer Leserunde der Lesejury lesen dürfen.

Die Liebe kommt auf Zehenspitzen - Kristina Günak

Beschreibung des Verlages:
Ganz unverhofft erben Autorin Lucy, die an einem Liebesroman schreibt, und Klinikarzt Ben, der an Panikattacken leidet, einen alten Bauernhof. Nur dumm, dass sie sich eigentlich nur flüchtig kennen. Aber weil Lucy dringend eine Bleibe und Ben eine Auszeit braucht, ziehen sie in die ländliche Idylle eines kleinen Dorfs. Gemeinsam, aber nur als Freunde, versteht sich, und bloß auf Zeit. Doch das Leben hat andere Pläne mit ihnen ... 

Inhalt:
Lucy, eine sich in der Grossstadt einsam fühlende Liebesromanautorin und Ben, ein Arzt, der sich in seinem Job in der Klinik überfordert gefühlt hat, lernen sich auf einer Autofahrt kennen und werden gemeinsam auf dem Hof der älteren Dame Dorle eingeschneit. Als diese kurz darauf stirbt, vermacht sie ihren Hof den damals überraschend aufgetauchten Übernachtungsgästen unter der Bedingung, dass Lucy und Ben diesen gemeinsam bewohnen und nach Möglichkeit bewirtschaften sollen.
Weil beide so oder so keinen Halt mehr in ihrem alten Leben haben, stürzen sie sich in dieses neue Abenteuer und werden von der an einem Strick ziehenden Dorfgemeinschaft mit offenen Armen und Herzen empfangen.

Meine Meinung:
Kristina Günak ist es gelungen, mich von Anfang an für sich und ihre Figuren einzunehmen, was mich sehr gefreut hat. Ich habe es geliebt, wie Lucy und Ben sich auf dem Hof einleben (und sich dabei nicht selten auch ein wenig umständlich anstellen) und wie die Bewohner des kleinen Dorfes sich den beiden Stadtbewohnern annehmen. Besonders gut gefallen hat mir als überzeugte Katzenliebhaberin übrigens der träge, liebenswerte Hofhund Helmut, den Lucy und Ben von Dorle übernommen haben und dessen bedächtige Art im ganzen Buch für sehr viele herzerwärmende Momente gesorgt hat.
In zahlreichen amüsanten Szenen hat Kristina Günak gezeigt, wie humorvoll und feinfühlig sie schreiben kann. Da wären zum Beispiel Dorffeste, der kauzige Nachbar Fredo mit seinem grossen Herz, der Kochkurs, bei dem Lucy so gar nichts lernt, aber um so mehr Spass hat oder auch die kleinen und grösseren Arbeiten rund um den Hof. Die sich zwischen Lucy und Ben anbahnende Romanze rückte dabei mehr und mehr in den Hintergrund und hätte in meinen Augen dann auch eigentlich gar nicht mehr sein müssen. Zu unklar ist Bens Vergangenheit und auch nach mehr als 300 Seiten kann ich mir nicht vorstellen, wie die "Protagonisten" aussehen und eigentlich waren alle anderen im Buch vorkommenden Figuren wesentlich interessanter, präsenter und mit mehr Entwicklungspotenzial ausgestattet. Ich würde es mir deshalb wünschen, noch einmal in dieses kleine Dorf zu reisen und mehr über Millie, Fredo, Esat und wie sie alle heissen zu erfahren.

Schreibstil:
Auch wenn das Landleben natürlich ein wenig gar idyllisch daherkommt, hat sich vor allem da gezeigt, wie besonders gut Kristina Günak (be-)schreiben kann. Ich habe die Blüten der Obstbäume, Millies Kuchen und den Jägermeister riechen und fast schon schmecken können und hätte mich am liebsten zu Esat auf die blau gestrichene Bank am Wegrand gesetzt, mit ihm geplaudert, die Post sortiert und auf den nächsten Gemütsausbruch von Fredo gewartet. Auch ist es Günak gelungen, Bens psychische Erkrankung feinfühlig in die Handlung einzuflechten, ohne sie ins Lächerliche zu ziehen oder - umgekehrt - pathetisch zu werden.
Weniger gut hat mir gefallen, wie Lucys Schreiballtag beschrieben ist. Ihre anfängliche Romanidee verkommt zu einer Farce und muss komplett umgekrempelt werden und auch sie als Figur wirkt für ihr Alter viel zu unbeständig, unreif und auch ein wenig gar unsicher, kann aber dafür mit ihrer feinfühligen Art auftrumpfen.

Fazit:
Obwohl die eigentlichen Protagonisten eine stets kleiner werdende Rolle einnehmen und letztendlich gänzlich in den Hintergrund rücken, Lucys Romanidee sehr an den Haaren herbeigezogen wirkt und wir über Bens Vergangenheit immer noch ganz wenig erfahren, hat Kristina Günak eine herzerwärmende Sommerlektüre geschrieben, welche das idylissche Landleben und den Zusammenhalt einer Dorfgemeinschaft feinfühlig beschreibt. Das Buch kann man lesen, muss es aber nicht, deshalb gibt es keine Empfehlung von mir, sondern einen Wunsch:
Ich wünsche mir eine Fortsetzung, die sich vor allem mit den anderen Bewohnern des kleinen Dorfes befasst und würde sehr gerne in die kleine Dorfgemeinschaft zurückkehren. Evtl. sind sogar genug Ideen für eine Frühling-Sommer-Herbst-Winter-Romanreihe da?

Zusätzliche Infos:
Titel: Die Liebe kommt auf Zehenspitzen
Autorin: Kristina Günak wurde 1977 in Norddeutschland geboren. Nachdem sie jahrelang als Maklerin arbeitete, ist sie heute als Mediatorin und systemischer Coach tätig. 2011 erschien ihr erster Roman, und seither hat sie sich mit ihren humorvollen Büchern unter Liebesromanleserinnen einen Namen gemacht. Sie schreibt auch unter dem Pseudonym Kristina Steffan.
Sprache: Deutsch
Taschenbuch: 318 Seiten 
Verlag: Baste Lübbe
Ersterscheinung: 29.06.2020
ISBN: 978-3-404-18009-7

09 Juni 2020

Rezension: Als das Meer uns gehörte

Als das Meer uns gehörte - Barbara J. Zitwer

Beschreibung des Verlages:
"Dieses Buch riecht nach Meer. Nach der Lektüre will man die Welt einfach nur umarmen." Hape Kerkeling
Nach dem Tod ihres Mannes sucht Tess Harding mit Robbie, ihrem gehörlosen Sohn, Zuflucht in Montauk, einem Dorf auf Long Island. Trotz all ihrer Bemühungen schafft sie es nicht, ihrem Kind zu helfen, den Verlust zu verkraften. Robbie gibt ihr die Schuld am Tod seines Vaters, so dass Tess fürchtet, auch ihn noch zu verlieren. Dann begegnen sie einem Meeresbiologen: Kip ist auf der Suche nach einem Wal mit einem einzigartigen Gesang. Robbie ist fasziniert von dem Tier und findet einen Weg, es im Meer aufzuspüren. Die Begegnungen mit dem Wal helfen ihm, seine Isolation zu überwinden – und Tess hat zum ersten Mal die Hoffnung auf einen Neuanfang.
Ein gehörloser Junge, eine Frau, die ihren Mann verloren hat, ein Meeresforscher – und ein Blauwal, der sie auf eine Reise über den Ozean führt.  

Inhalt:
Robbie ist gehörlos, aber aufgrund eines Cochlea-Implantats kann er hören, sprechen und musizieren. Sein Instrument ist die Tuba, die er von seinem Vater, einem arbeitslosen Musikproduzenten, geschenkt bekommen hat. Als dieser Vater auf offener Strasse erschossen wird, ist für Robbie und seine Mutter nichts mehr, wie es vorher war. Vorwürfe, Schuldzuweisungen, Verlustängste und eine enorme Trauer überschatten den weiteren Alltag. Aber Tess beschliesst, mit ihrem Sohn nach Montauk zu fahren und dort eine Weile bei ihrem Onkel Ike zu leben. Sie hofft ausserdem, Robbie das Meer und die Landschaft ihrer Kindheit näherzubringen. Der wehrt sich anfänglich, doch als er die Bekanntschaft mit dem Segler und Meeresbiologen Kip und dem Wal Benny macht, beginnt er, wieder Freude an seinem Leben zu finden.

Meine Meinung:
Ach, ihr Lieben, wo fange ich an... Die Grundidee zu diesem Buch ist wundervoll, überzeugend, bewegend und sehr aussergewöhnlich. Ein gehörloser Sohn, der nicht nur trotzdem hört, sondern auch noch Musik macht, seine Mutter, die als Schuhdesignerin und Workaholic in einer ganz eigenen Welt lebt, ein plötzlicher Schicksalsschlag, eine abgelegene Küste in Montauk, ein Wal und ein Onkel, der in seinem Restaurant Hilfe benötigt und nebenbei auch die einzige Figur ist, die ausgearbeitet wirkt und die ich wirklich gemocht habe...das wären doch eigentlich die perfekten Zutaten für eine wundervolle Geschichte und ausserdem ist dieses Cover, eine Augenweide, findet ihr nicht auch? Vor allem gefällt mir sehr gut, wie der Wal im Cover "versteckt"worden ist.
Nur leider bleiben die anderen Figuren kalt und flach, Robbie ist nicht nur eine schreckliche Nervensäge sondern per Definition ein (entschuldigt bitte, das werde ich nie wieder in einer Rezension verwenden, aber hier passt es einfach) absolutes A...kind. Er hasst und verurteilt seine Mutter, was natürlich schon ein wenig verständlich ist, aber er ist nicht nur vorlaut, unanständig, ignorant, egoistisch und verwöhnt, er ist auch noch gemein und verletzend und tyrannisiert Tess nach Strich und Faden. Ausserdem wirkt er wesentlich älter als ein Neunjähriger und benimmt sich wie ein total eskalierter Teenager. Tess hingegen ist die ewig unterwürfige Mutterfigur, die sich stets entschuldigt, sich verantwortlich für die inexistente Erziehung ihres Sohnes fühlt (weil sie immer gearbeitet hat) und ihren verstorbenen Mann, der alles andere als ein Engel war, noch sehr lange in Schutz nimmt. Wenn aber die Eltern bei der Erziehung versagt haben, wer trägt dann die Hauptverantwortung? Der Vater, der stets zu Hause geblieben ist und sich um den Sohn gekümmert hat oder die Mutter, welche die Familie mit ihrer Arbeit ernährt hat? Eben...

Schreibstil und Lektorat:
"Als das Meer uns gehörte" ist leider das beste Beispiel dafür, wie ein schlechtes Lektorat eine eigentlich fantastische Grundidee, die nur von mangelhaften Charakterskizzen geprägt ist, komplett zerstören kann. Es sind aber keine Tippfehler, sondern sehr kleine (und grössere) logische Unstimmigkeiten, welche den Lesefluss stören. Beispielsweise nimmt Robbie seine Hörgeräte manchmal (oft zum Trotz) ab und versteht dann trotzdem, das jemand mit ihm spricht und erst einige Sätze später - als wäre dann erst bei der Überarbeitung aufgefallen, dass Robbie ja eigentlich gehörlos ist und auch nur dann lippenlesen kann, wenn man ihn anschaut - wird plötzlich erwähnt, dass jemand "gebärdet", also in Gebärdensprache mit ihm spricht, was aber vom Zusammenhang her und von der Position aus, in der die Figuren zueinander stehen, auch gar nicht sein kann. Oder gebäderdet mal ohne einander anzublicken und im Meer schwimmend oder während ihr ein Segelschiff manövriert, das möchte ich dann aber sehen.
Ausserdem heisst der Wal, den der Meeresbiologe Kip vefolgt (und diese Walgeschichte ist übrigens der wohl schönste Aspekt an diesem Buch, dafür gibt es von mir ein riesiges, ernstgemeintes Lob), Benny. Nach Benny Goodman, dem "grössten Trompeter aller Zeiten". Etwas bemerkt? Natürlich kann man darüber streiten, wer der grösste Trompeter aller Zeiten war (ich bin mir sicher, es war Miles Davis), aber Benny Goodman, der war halt einfach Klarinettist, das ist nicht wegzudiskutieren...
Ausserdem hilft Tess ihrem Onkel Ike bei der Renovation seines alten Motels und richtet später auch noch eine eigene Wohnung für sich ein, und mehrmals wird sehr präsent und nicht wirklich in den Kontext passend erwähnt, wie sie die Einrichtung ein wenig "weiblicher" gestaltet. Wirklich? Come on... Es sind diese kleinen und grösseren Details, die einer/m Lektor*in hätten auffallen müssen und es ist sehr schade, dass die Schwächen dieses Buches, nämlich vor allem die oberflächlich gestalteten Protagonisten, durch diese Unstimmigkeiten und irritierenden Momente noch verstärkt worden sind.
Doch eigentlich wäre dieses Buch die Geschichte einer kleinen Familie, die einen Schicksalsschlag überwindet, lernt, mit ihrer Trauer zu leben und vielleicht sogar neue Hoffnung schöpft. Das kommt leider komplett zu kurz, obwohl es so viele Gelegenheiten gegeben hätte, dies stimmig einzubringen.
Was mir aber wirklich gefallen hat: dieses Buch ist eine grosse Gesellschaftskritik. Da geht es um Gewalt auf offener Strasse, um Verschmutzung und zugemüllte Strände und am Ruf der Stadt New York wird kein gutes Haar gelassen. Schade, dass diese Aspekte nicht weiter ausgearbeitet worden sind, denn wenn ich nun an dieses Buch denke, sehe ich einfach nur verschwendetes Potenzial und das ist unendlich schade.

Fazit:
Die Idee, welche diesem Buch zugrunde liegt, ist wundervoll, vielversprechend und nicht alltäglich und vor allem der Handlungsstrang, der sich mit dem Wal Benny und dem Meeresbiologen Kip befasst, ist sehr gelungen. An der Umsetzung und nicht zuletzt auch am Lektorat happert es aber leider so sehr, dass auch diese schöne Grundidee und der sehr flüssige Schreibstil nicht darüber hinwegtrösten können. Von mir gibt es keine Empfehlung für dieses Buch. Es wird in den offenen Bücherschrank wandern und hoffentlich bald eine neues Zuhause finden.

Zusätzliche Infos:
Titel: Als das Meer uns gehörte
Originaltitel: When The Sea Belonged To Us
Autorin: Barbara J. Zitwer ist Absolventin der Columbia Film School, schrieb Drehbücher und arbeitete als Filmproduzentin. Sie hat eine renommierte literarische Agentur in New York, wo sie mit ihrem Mann und ihren zwei Hunden lebt. Ihre Kindheit verbrachte sie zu großen Teilen an den Stränden von Montauk, und seitdem haben sie die Faszination der Wale und der Zauber des Meeres nicht mehr losgelassen. Mehr Informationen zur Autorin unter www.alsdasmeerunsgehoerte.com
Aus dem Englischen von: Yasemin Dinçer
Gebunden mit Schutzumschlag: 389 Seiten
Verlag: Rütten & Loening (heute Aufbau-Verlag)
Erscheinungsdatum: 17.03.2017
ISBN: 978-3-352-00892-4

01 Juni 2020

Lese-Statistik Mai 2020

Hallo ihr Lieben

Seid ihr gut in den Juni gestartet? Ich kann es ja irgendwie noch gar nicht glauben, dass es nun schon Sommer sein soll. Bevor die Schulen schliessen mussten, war ich gefühlt erst in tiefster Nacht zu Hause. Während die Schulen geschlossen waren, waren meine Arbeitszeiten ganz anders, aber seit der zweiten Maiwoche unterrichte ich wieder regulär und einmal pro Woche bin ich dann schon zu Hause, wenn es gerade dämmert und einmal sogar bereits, wenn es noch taghell ist. Nur mittwochs wird es bei mir jeweils viel später und am Montag und Freitag bin ich nicht an den Musikschulen. Ein wenig mehr Routine, ein wenig mehr Alltag ist eingekehrt, aber es fühlt sich an, als hätte ich durchgehend Urlaub. Der Fernunterricht war so enorm anstrengend und zeitraubend, dass ich nun zum ersten Mal in dieser ganzen Zeit verspüre, was viele wohl sonst im Homeoffice erlebt haben und habe nun wirklich Zeit für mich, was ich sehr schätze. Die Konzerte und Proben fallen ja leider weiterhin aus, was wirklich enorm traurig ist, ich vermisse es so sehr, auf der Bühne zu stehen und meine Ensemblekolleginnen zu sehen... Aber für September und November ist wieder etwas geplant, drückt die Daumen, dass es klappt.
Am Samstag war ich mit einer Freundin in der Stadt. Wir haben Strassenmusik gemacht und es war so toll, wenigstens ein kleines Publikum zu haben und wieder vor Menschen zu spielen. Jetzt, wo es immer wärmer und heller wird, wollen wir das vermehrt stattfinden lassen, es kommt dem Gefühl, "aufzutreten" einfach am nächsten.

Buchtechnisch zeigt sich das darin, dass ich ein wenig mehr gelesen habe, als in den eher schwierigen Monaten März und April. In meinem Stapel sind ganz viel gute Unterhaltung, ein wenig etwas fürs Herz, ein Klassiker und ein Opernlibretto zu finden und das alles habe ich im Mai gelesen:

Warmherziges, grossartiges und aus dem Leben gegriffenes grosses Kino, liebevoll und feinfühlig erzählt

Unterhaltsamer, liebevoll und klug erzählter Klassiker, eine Liebeserklärung an Paris und die Roaring Twenties

Sprachgewaltige, kraftvolle Liebeserklärung an die Schönheit des Erzählens und der Poesie

Solider, unterhaltsamer Folgeband, der mit Witz, Kreativität und einem zufriedenstellenden Ende überzeugt

Leichter Lesegenuss mit einer starken Botschaft und einer mutigen Protagonistin und liebenden Mutter

Für dieses musikalisch-literarische Schmankerl gibt es eine sehr, sehr herzliche Leseempfehlung!

Kann man lesen, muss man aber nicht, für Unterhaltung und Romantik ist aber definitiv gesorgt

Alle Rezensionen im Überblick:
For You - Jan McEwan   (133 Seiten)

Diese Bücher sind im Mai bei mir eingezogen:
Neben "Ein Tag und eine Nacht" und "Irgendwo im Glück" sind bei mir noch "Joy at Work" von Marie Kondo und "Als das Meer uns gehörte" von Barbara J. Zitwer eingezogen. "Joy at Work" habe ich mir selber gekauft und die anderen drei Bücher hat meine Schwester aus ihrem Regal aussortiert.
 

Und hier noch einmal alle Zahlen:
Gelesene Bücher: 7
Abgebrochene Bücher: -
Somit in die Leseeule: 7 Franken
Gelesene Seiten: 2'349
Durchschnittliche Seitenzahl pro Tag: 75.77 Seiten
Geschenkt bekommene Bücher: 3
Buchprämien: -
Rezensionsexemplare: -
Gekaufte Bücher: 1
Eingesammelte Bücher: -
Gesamte Neuzugänge: 4
SuB am Monatsbeginn: 119
Aktueller SuB: 116
Differenz: -3