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28 September 2019

Rezension: Das Licht ist hier viel heller

 
Das Licht ist hier viel heller - Mareike Fallwickl

Beschreibung des Verlages:
Maximilian Wenger war einer der Großen, ein Bestsellerautor, ein Macher. Jetzt steht er vor einem Scherbenhaufen: Niemand will mehr seine Romane lesen, und seine Frau hat ihn gegen einen Fitnesstrainer eingetauscht. In einer kleinen Wohnung unweit von Salzburg verkriecht er sich vor der Welt.
Wengers achtzehnjährige Tochter Zoey plant ihre Zukunft nach ganz eigenen Vorstellungen. Schnell merkt sie, dass sie dabei an ihre Grenzen stößt – und das Erwachsenwerden mit Schmerz verbunden ist.
Dann bekommt Wenger diese Briefe. Obwohl sie an seinen Vormieter adressiert sind, öffnet er sie, und es trifft ihn wie ein Schlag: Sie sind brutal und zart, erschütternd und inspirierend. Wer ist die geheimnisvolle Fremde, die von flüchtigem Glück, Verletzungen und enttäuschter Hoffnung erzählt? Was Wenger nicht weiß: Auch Zoey liest heimlich in den Briefen. Sie hat etwas erlebt, das sich in diesen wütenden Worten spiegelt. Beide, Vater und Tochter, werden an einen Scheideweg geführt, an dem etwas Altes endet und etwas Neues beginnt.

Der schwierige Einstieg:
Wer hier schon länger mitliest, weiss, wie begeistert ich war von Mareike Fallwickls Erstling "Dunkelgrün fast schwarz", weshalb ich mir natürlich auch ihr zweites Buch kaufen wollte. Ich freute mich schon lange darauf - der Hype war Wochen vor dem Erscheinungstermin ausgebrochen - und stieg dann fast ganz ohne Vorwissen ein, was toll war. Nur leider gestaltete sich der Einstieg zäh. Obwohl ich die charakterstarke Sprache sofort wiedererkannte, waren mir die Figuren zu eindimensional und stereotyp gezeichnet. Fallwickl legt ihren Protagonisten schon in den ersten Kapiteln alles an Voruteilen in den Mund, was nur geht. Egal ob Deutsche, Schweizer, Bloggerinnen und Influencerinnen, und natürlich auch egal ob Frau oder Mann, da wird an niemandem ein gutes Haar gelassen. Gerade weil Fallwickl ihre Figuren in einem eher gebildeten Menschenschlag ansiedelt, war mir das ein wenig zu plakativ und undifferenziert, die Handlung floss dröge dahin, die ersten knapp zweihundert Seiten langweilten mich. Ich wartete auf Paukenschläge, Provokation, grosse Ereignisse und zum Nachdenken anregende Wendungen.

Und dann...:
Die Grundstimmung ändert sich plötzlich, das Erzähltempo wird gesteigert und Fallwickl macht genau das, was ihr Protagonist Wenger macht: sie wird konkret und ich fragte mich, was denn vorher dieses ganze Herumdümpeln in den seichten Gewässern von Coktailpartys und den leeren Weiten einer verranzten Wohnung sollte. Was die Frauen in "Das Licht ist hier viel heller" erleben und auch verbal über sich ergehen lassen müssen, ist uns allen sicher wohlbekannt. Wie die "Wengers" normalerweise davonkommen, wissen wir auch. Und es wird schnell klar, dass Fallwickln nicht eigentlich den "Typus Wenger", sondern vielmehr die ganze Gesellschaft, welche diesen Typus mitgeformt hat und weiterhin mitträgt, anklagt. Sie schafft es, ganz subtil aufzuzeigen, wie Grenzüberschreitungen geschehen können und welche Dominanz und Selbstverständlichkeit - und leider oft auch Akzeptanz - damit einhergeht. Aber die Subtilität und das Einschleichen solcher Muster in die Beziehungen zwischen Frau und Mann, sind nicht nur das grösste Plus dieses Buches, sondern auch seine grösste Schwäche. Ich höre die vielbesungenen "alten, weissen Männer" schon belustigt vor sich hin murmeln und ihre fetten Ärsche in den Ledersesseln knarzen, während sie sich genüsslich einen weiteren Brandy einschenken und sagen: "Aber der Wenger, der war ja nun wirklich arm dran. Der wurde von Frau und Kindern verlassen, verleumdet und letztendlich in eine Ecke gedrängt, in die er gar nicht gehört. Er hat sich ja sogar noch entschuldigt, der Gute. Der andere hat sich schon ein wenig daneben benommen, aber ich weiss wirklich nicht, was ihr alle habt, es ist ja gar nichts passiert." Und genau das ist es, was wütend macht. Dass wir, die wir wissen, von was Fallwickl schreibt, immer wieder niedergerungen werden von solchen, die sich alles schönreden und leider lässt sich auch dieses Buch schönreden. Leider war da dann doch zu wenig konkret, was hätte auf den Tisch gebracht werden müssen und leider gibt es sicher Menschen, welche genau falsch verstehen, was eigentlich gemeint war und ja, das ist nicht das Problem der Autorin. Aber es ist ein Problem, das weiter bestehen bleibt, solange subtile Fallstudien - auch wenn sie grandios romanesk verpackt werden - nicht eindeutiger, brutaler und ekeleregender erzählt werden und es ärgert mich, dass ich dies so fordern muss, weil offensichtlich "Das Licht ist hier viel heller" noch lange nicht reicht.

Die Nebenfiguren:
Wenn Wenger die Hauptfigur ist, sind seine Ex-Frau und seine Kinder die Nebenfiguren. Seine Frau bleibt hohl und blass und oberflächlich und befeuert leider weiter die Vorurteile, welche die hier kritisierten Herren der Schöpfung gerne über davonziehende Ehefrauen bemühen.
Aber bei Wengers Kinder läuft Mareike Fallwickl zu ihrer ganzen Grösse auf. Da zeigt sie, was eigentlich in ihr steckt und sie lässt die starke und mutige Zoey erzählen, selber denken und schwierige Entscheidungen treffen, ihren Vater und ihre Mutter kritisieren, die Gesellschaft anprangern und dabei Kunst erschaffen. Sie lässt Zoey zuerst leise und dann immer lauter Widerstand leisten und für sich einstehen, so wie wir alle für uns einstehen sollen. Und dann ist da Spin, Zoeys kleiner Bruder. Der einfühlsame und sympathische junge Mann, der sich abgrenzt von einem Männerbild, das ihm vorgelebt worden ist, der für seine Schwester einsteht, auch wenn er sie nicht immer versteht und schade, dass er schwul ist, es wäre so viel toller gewesen, wenn all diese Eigenschaften bei einem heterosexuellen Mann aufgetaucht wären, auch hier also leider wieder Stereotyp über Stereotyp. Aber die zärtlichen Beschreibungen der Geschwisterbeziehung zwischen Zoey und Spin ist etwas vom Schönsten, das ich je über Familien gelesen habe und es ist ein schriftstellerisches Meisterstück, wie Fallwickl es schafft, die positive Entwicklung dieser Menschen sanft und aufmerksam beobachtend in ihren Roman einzuflechten, wie sie deren Vergangenheit, die darin verarbeiteten Verletzungen und Enttäuschungen, aber auch zahlreiche Abenteuer einbaut und dabei stets die Handlung im Blick behält und die Geschwister miteinander und aneinander wachsen lässt, wie es schöner nicht erzählt werden könnte.

Meine Empfehlung:
Und allen Kritikpunkten zum Trotz ist dieses Buch somit natürlich ein Muss. Ein Muss, weil es anregt, weil es für Gesprächsstoff sorgt, weil es uns dazu bringt, nach mehr zu verlangen, zu erzählen, zu diskutieren, nach Lösungen zu suchen und nach Bestrafungen zu schreien. Und weil es von einer sprachlichen Schönheit ist, die ihresgleichen sucht, Regionalkolorit und eine breite Gefühlpalette beinhaltet und von einem scharfen Intellekt und einer Leidenschaft zum Erzählen geprägt ist.

Zusätzliche Infos: 
Titel: Das Licht ist hier viel heller
Autorin: Mareike Fallwickl, 1983 in Hallein bei Salzburg geboren, arbeitet als freie Texterin, schreibt für eine Salzburger Zeitung eine wöchentliche Kolumne und betreibt seit 2009 einen Literaturblog. Sie lebt im Salzburger Land. 2018 erschien ihr literarisches Debüt »Dunkelgrün fast schwarz« in der Frankfurter Verlagsanstalt, das von Lesern gefeiert und unter anderem für den Österreichischen Buchpreis sowie das »Lieblingsbuch der Unabhängigen« nominiert wurde. 
Sprache: Deutsch
Hardcover, Schutzumschlag mit Metallic-Lack/5c: 384 Seiten 
Erscheinungsdatum: 30.08.2019
ISBN: 9783627002640 

3 Kommentare:

  1. Liebe Livia,
    So, jetzt bin ich endlich auch dazu gekommen, deine Rezension zu lesen. Ich bin ein bisschen überrascht, wie positiv sie insgesamt doch ausgefallen ist. Hatte nach deiner Vorwarnung schärfere Kritik erwartet. Und wenn ich das richtig verstanden habe, ist dein größter Kritikpunkt ja auch eigentlich nicht das Schreiben der Autorin, sondern das die Gesellschaft etwas "Stärkeres" braucht. Da kann ich persönlich nicht so ganz mitgehen. Ich finde das Buch trifft gerade einen guten Ton. Und ich finde es gut, dass es gerade nicht konkreter wird. Das wäre mir dann wieder zu voyeuristisch und könnte genau den gegenteiligen Effekt haben, dass irgendwelche Ekel-Typen das dann erst recht gut finden. Dieses Buch regt zum Nachdenken an, wer nachdenken will. Die, die sich eh nicht reflektieren wollen, die wird man auch mit einer Schock-Geschichte nicht ändern, fürchte ich. Aber das ist nur meine Meinung. Mag es aber auf jeden Fall, dass du dir da so viele Gedanken gemacht hast und sie so offen mit uns teilst. Das regt zum Austausch an, und darum geht es doch schließlich, oder? :) Und bei Zoey und ihrem Bruder sind wir uns ja auch einig, da läuft Fallwickl zur Hochform auf. Ganz toll beschrieben. Eine sehr schöne, kritische Rezension. Danke dafür.
    Liebe Grüße, Julia

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    1. Liebe Julia

      Wie schön, dass du noch vorbeigeschaut hast.

      Da hast du recht, aber mein grösster Kritikpunkt bezieht sich vor allem auf die stereotypen Figuren und Beschreibungen. Fallwickl kommt leider nie aus den Klischees heraus und der einzige tolle, einfühlsame Mann, ist dann auch noch schwul. Es bleibt deshalb alles sehr vorhersehbar und auch ein wenig zu sehr im oberflächlichen Bereich. Gerade die Grenzen, die verschwimmen und verschwinden, die unklare Situation zwischen Täter und Opfer und das Denken ausserhalb "der Box" hat mir bei "Dunkelgrün fast schwarz" so gut gefallen und deshalb fand ich es sehr schade, dass "Das Licht ist hier viel heller" so sehr nach Schema F verläuft.

      Da fehlte mir dann das konkrete, dass wirklich Anklage erhoben wird, dass wirklich gezeigt wird: halt, stopp, das geht so nicht. Nicht einfach das stille Leiden, die unterdrückte und erst langsam und leise geäusserte Wut. Verstehst du, was ich meine?

      Aber wie du sagst, das ist auch Geschmacksache und wir alle werden wohl - gerade bei diesem Buch, aber auch generell - von ganz unterschiedlichen Dingen getriggert.

      Alles Liebe an dich
      Livia

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    2. Ah ja, aber jetzt verstehe ich besser, was du meinst. Stereotyp fand ich die Figuren zwar nicht, aber es ist schon ganz anders als "Dunkelgrün" da hast du auf jeden Fall recht. Hier ist der Handlungsverlauf schon wesentlich konventioneller, wenn man das so sagen kann...
      Mal sehen, welchem Thema sich dann das nächste Buch widmen wird. Vielleicht wird das dann ja wieder mehr Richtung "Dunkelgrün"...
      Liebe Grüße, Julia

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